Leitfaden Technikwissenschaften

Dieser Leitfaden dient als Hilfestellung für Forscher_innen, Projektleiter_innen und Gutachter_innen, für Antrag Schreibende sowie für Förderorganisationen, die sich der Entwicklung von Technologie sowie verwandten Produkte, Dienstleistungen, Infrastrukturen oder Verfahren widmen. Der Leitfaden stellt einen Katalog mit zentralen Fragen zur Verfügung, um die Analyse des biologischen sowie des sozialen Geschlechts in die Technikwissenschaften zu integrieren. Der Leitfaden ergänzt die auf der Seite Innovationsprozesse entwickeln beschriebene Methode und sollte gemeinsam mit dieser gelesen werden. In Bezug auf Produktdesign, siehe Intersektionales Design.

1. Potenzielle Anwender_innen von Technologien unterscheiden sich nach verschiedene Merkmalen (Geschlechteridentitätenbiologisches Geschlecht, Alter, Ethnisierung, Beruf, Tätigkeit, Bildung, Einkommen, Haushalt und Lebensform, bisheriger Umgang mit und Einstellung gegenüber Technologie usw.). Welche Rolle spielen das biologische und das soziale Geschlecht hinsichtlich der zu entwickelnden Technologie? (vgl. Forschungsprioritäten und -ergebnisse analysierenÜberschneidungen zwischen Sex, Gender und weiteren Faktoren analysieren).

2. Gibt es grundlegende anatomische und physiologische Unterschiede zwischen Frauen, Männern und nicht-binären Personen, die berücksichtigt werden sollten (zum Beispiel in Bezug auf Größe, Kraft, Bewegungsradius usw.)? (vgl. Begriff: Sex; vgl. Methoden: Sex analysierenStandards und Referenzmodelle überdenken)

3. Gibt es weitere anatomische und physiologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern, die berücksichtigt werden sollten (zum Beispiel in Bezug auf Sehvermögen, Gehörsinn, Stimmlage, Tastsinn, Geruchssinn, Propriozeptoren, Muskelspannung, Temperaturwahrnehmung usw.)

4. Was sind die potenziellen Anwendungsbereiche der Technologie (zum Beispiel im Berufsleben, für Freizeitaktivitäten, zuhause usw.)? Legen diese Kontexte nahe, dass unterschiedliche Gruppen potenzieller Konsument_innen (zum Beispiel Frauen und Männer) unterschiedliche Nutzungsverhalten haben? (vgl. Begriff: Gender; vgl. Methode: Annahmen hinsichtlich des sozialen Geschlechts (Gender) analysieren)

5. Haben unterschiedliche Gruppen potenzieller Konsument_innen (zum Beispiel nicht-binäre Personen, Frauen und Männer, Alte oder Junge etc.) möglicherweise unterschiedliche Erwartungen an die Benutzer_innenschnittstelle? Verstärken bestimmte Eigenschaften vorangegangener Innovationen bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, Geschlechternormen oder Stereotype? (vgl. Forschungsfragen formulierenPartizipative Forschung und Gestaltung)

6. Haben unterschiedliche Gruppen potenzieller Konsument_innen (zum Beispiel Frauen und Männer) möglicherweise unterschiedliche Ansprüche an die Gestaltung der äußeren Form?

7. Haben unterschiedliche Gruppen potenzieller Konsument_innen (zum Beispiel Frauen und Männer) möglicherweise unterschiedliche Ansprüche an Ausstattung und Funktionen?

8. Ist es kostengünstiger die Technologie bereits in frühen Entwicklungsphasen auf bestimmte Gruppen (zum Beispiel Frauen und Männer) abzustimmen oder kann sie nach der Entwicklung kostengünstig adaptiert werden?

9. Besteht das Risiko, potenzielle Konsument_innen durch die Gestaltung der äußeren Form zu stereotypisieren oder verärgern (zum Beispiel indem Rollenmodelle, Avatare, verschiedene Formen des Sexismus usw. aufgedrängt werden)?

10. Besteht das Risiko bestimmte Gruppen (zum Beispiel ältere Personen) durch die Technikgestaltung auszuschließen?

11. Würden spezifische Konfigurationen bestehende soziale Rollen verstärken (zum Beispiel geschlechtsspezifische Aufteilung der Arbeitskräfte; In-Verbindung-Bringen von Männern mit Technik und Frauen mit Haushaltstechnologien)?

12. Was sind - auf Grundlage der bisherigen Fragen - die relevanten Variablen bezüglich des biologischen oder sozialen Geschlechts für mein Tätigkeitsfeld? Was muss ich hinsichtlich Sex und Gender wissen, was ich derzeit noch nicht weiß oder verstehe?

13. Ist es möglich oder notwendig ein Usability-Labor einzurichten oder ergonomische Untersuchungen durchzuführen? Gibt es weitere Monitoring-Methoden, die eingesetzt werden können (Fragebögen, Workshops usw.)?

14. Habe ich sichergestellt, dass meine Testgruppen ein breites und diverses Spektrum abdecken (in Bezug auf Alter, biologisches Geschlecht, Geschlechtsidentität, ethnische Zugehörigkeit, Körpergröße usw.)?

15. Informiere ich meine Kund_innen über den geschlechtsspezifischen Zuschnitt meiner Technologien?

16. Gibt es weitere Kund_innengruppen bzw. Anwendungsbereiche für meine Technologie?

17. Verpasst Ihr Geschäftsmodell mögliche Chancen, indem es biologisches und soziales Geschlecht oder intersektionale Faktoren nicht ausreichend berücksichtigt? Wo könnte die Analyse dieser Faktoren durch geschlechterreflexive Innovation neue Geschäftschancen eröffnen?

18. Entgehen meinem Geschäftsmodell potenzielle Chancen, weil biologisches und soziales Geschlecht nicht hinreichend adressiert werden? Wo könnten die Analysen von Sex und Gender durch geschlechterreflexive Innovationen neue Marktchancen eröffnen?

19. Habe ich die Genderexpertise identifiziert, die ich benötige?

20. Ist die benötigte Genderexpertise in meinen internen oder externen Mitarbeiter_innenstab vorhanden? Falls nicht, welche Anstrengungen unternehmen meine Mitarbeiter_innen, um Spezialist_innen hinzuzuziehen?

21. Gibt es in den Zielgruppen eine bestimmte für Entwicklung oder Anwendung der Technologie wichtige Expertise, die in den Innovationsprozess eingehen sollte?

22. Welche Anstrengungen unternehmen meine Mitarbeiter_innen, um sicherzustellen, dass die diversen Expertisen, Interessen und Bedürfnisse der Zielgruppen in die Gestaltung und Entwicklung des Produkts integriert werden? (vgl. Partizipative Forschung und Gestaltung)

23. Verfügen bestimmte Gruppen über ein Wissen (beispielsweise aufgrund geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung) mit dem Potenzial, unerwünschte Ergebnisse wie etwa geschlechtsspezifische Verzerrungen oder Umweltschäden zu verhindern?

24. Welche Anstrengungen unternehmen meine Mitarbeiter_innen, um sicherzustellen, dass sie aus den Inputs der externen Expert_innen zu biologischen und sozialem Geschlecht lernen und relevante Fähigkeiten intern aufbauen?

25. Weiß mein Team, wie Expert_innenwissen und Innovationskriterien in Bezug auf das soziale Geschlecht (Gender) in bestehende Gestaltungs-, Entwicklungs- und Qualitätssicherungsmethoden, wie etwa Quality Function Deployment (QFD), Failure Mode Effect Analysis (FMEA), or Six Sigma, integriert werden können?

Dieser Leitfaden basiert auf dem Fraunhofer-Projekt „Discover Gender“, das von 2004–2006 vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde.

Bührer, S., & Schraudner, M. (Eds.) (2006). Wie können Gender-Aspekte in Forschungsvorhaben erkannt und bewertet werden? Karlsruhe: Fraunhofer Verlag.

Schraudner, M. (2010). Fraunhofer’s DiscoverGender Research Findings. In Spritzley, A.,Ohlausen, P., Sprath, D., (Eds.), The Innovation Potential of Diversity: Practical Examples for the Innovation Management, pp. 169–185. Berlin: Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung.

Schröder, K. (2012). Female Interaction Strategy