Am 6. März 2024 wurde bereits zum 3. Mal zum Wiener Juristischen Salon eingeladen. Die Veranstaltungsreihe findet unter der Leitung von Univ.- Prof.in Dr.in Dragana Damjanovic (TU), Univ.-Prof.in Dr.in Iris Eisenberger (Universität Wien) und Univ.-Prof.in Dr.in Verena Madner (WU) statt. Zu Gast war in dieser Ausgabe Univ.-Prof.in Dr.in Angelika Siehr, LL.M. (Yale), Professorin für öffentliches Recht, Völkerrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bielefeld.

In Ihrem Vortrag zum Thema „Das Recht am öffentlichen Raum“ widmete sie sich dem Begriff des öffentlichen Raumes und seinen Funktionen (vor allem als Raum der Kommunikation und Grundrechtsausübung). Dabei ging sie zunächst in interdisziplinärer Perspektive auf die Entwicklung der Begriffe des Raumes und der Öffentlichkeit ein und zeigte auf, wie der relationale sozialwissenschaftliche Raumbegriff für die Rechtswissenschaft fruchtbar gemacht werden kann. Um das spezifisch Öffentliche des öffentlichen Raumes zu verdeutlichen, ging Prof.in Dr.in Siehr zum einen auf die altdeutsche Idee der Allmende im Sinne eines Raumes, der allen gehört und auf den jeder Anspruch hat, ein. Zum anderen beleuchtete sie das Öffentliche als eine spezifische Kategorie des politisch-sozialen Lebens, skizzierte im Zusammenhang mit der ‚Agora‘ als Versammlungsort Hannah Arendts Modell des öffentlichen Raumes und im nächsten Schritt das Verständnis von Öffentlichkeit bei Jürgen Habermas. Neben der wichtigen freiheitlichen und kommunikativen Funktion des urbanen öffentlichen Raumes, die seine hohe Relevanz für die Demokratie begründet, wurden u.a. auch seine Funktion als Raum der Gleichheit, Vielfalt und Urbanität – einschließlich der für gelebte Urbanität wichtigen funktionalen Entgrenzung von Nutzungen – und seine kulturelle Funktion als kollektives Gedächtnis des Gemeinwesens angesprochen.

Die Frage des Rechts auf und am öffentlichen Raum stellte dann das Kernstück der Präsentation dar. Dabei soll sich das Recht auf öffentlichen Raum auf einen gleichen und diskriminierungsfreien Zugang sowie die gleiche Teilhabe am öffentlichen Raum richten, während das Recht am öffentlichen Raum die räumliche Dimension all jener Grundrechte absichert, deren Ausübung auf den öffentlichen Raum angewiesen ist, allen voran die Versammlungsfreiheit. Nach den Überlegungen von Prof.in Dr.in Siehr fallen das Nutzungseigentum und die Verfügungsbefugnis über das Eigentum an Grund und Boden in öffentlicher Hand auseinander. Dies stellt die Basis der beiden genannten Rechte dar: Im Recht auf öffentlichen Raum als Zugangs- und Nutzungsrecht artikuliert sich der Allmende-Charakter des öffentlichen Raumes; es folgt aus dem Nutzungseigentum der Bürgerinnen und Bürger am Eigentum in öffentlicher Hand in Verbindung mit dem Gleichheitssatz. Das Recht am öffentlichen Raum lebt hingegen von dem Gedanken, dass die Legislative und die Exekutive ihre Verfügungsbefugnis über das Nutzungseigentum am öffentlichen Raum nur treuhänderisch ausüben, gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern daher rechenschaftspflichtig sind. Geht es um die Versagung der Ausübung wichtiger Grundrechte wie der Versammlungsfreiheit, so wachsen auch die Anforderungen an die Rechtfertigung, während sie bei Tätigkeiten im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit sehr viel niedriger sind. Aber jedes Nutzungsverbot ist prinzipiell rechtfertigungsbedürftig, mit anderen Worten: Das Grundprinzip der allgemeinen Handlungsfreiheit wird auf die räumliche Dimension der Freiheitsbetätigung im öffentlichen Raum übertragen. Das Recht am öffentlichen Raum folgt somit aus dem Nutzungseigentum der Bürgerinnen und Bürger am Eigentum in öffentlicher Hand in Verbindung mit der allgemeinen Handlungsfreiheit.

Dem Vortrag folgte eine spannende Diskussion mit dem Publikum aus Jurist:innen und Raumplaner:innen, in welcher Fragen wie Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum, die Existenz eines transnationalen öffentlichen Raums oder der Platz des Grundrechts auf Freizügigkeit im Konzept des Rechts am öffentlichen Raum debattiert wurden.

Siehr und Damjanovic
3. Juristischer Salon - Publikum
Vortrag
Notizen