Jede noch so komplizierte Datenverarbeitung am Computer lässt sich in kleine, simple logische Schritte zerlegen: Man kann einzelne Bits miteinander addieren, man kann logische Zustände umkehren, man kann Verknüpfungen wie „UND“ bzw. „ODER“ verwenden. Solche Operationen werden am Computer durch ganz bestimmte Verschaltungen von Transistoren realisiert. Aus ihnen setzen sich dann größere Schaltungsblöcke zusammen, die komplexere Datenmanipulationen durchführen.
In Zukunft könnte das Design elektronischer Schaltungen aber ganz anders aussehen: Schon seit Jahren wird darüber nachgedacht, welche Möglichkeiten elektronische Schaltungen bieten würden, die nicht eine physikalisch fest vorgegebene Aufgabe erfüllen, sondern je nach Rechenaufgabe flexibel umgeschaltet werden können – eine Umprogrammierung also, die nicht auf Software-Ebene stattfindet, sondern auf fundamentaler Hardware-Ebene: Direkt an den Transistoren, den fundamentalen elektronischen Schaltern auf Nanometer-Skala.
Genau das gelang nun einem Forschungsteam der TU Wien: Man entwickelte intelligente, steuerbare Transistoren und fügte sie zu Schaltungen zusammen, die zuverlässig und schnell zwischen unterschiedlichen Aufgaben hin und her geschaltet werden können. So lässt sich dieselbe Funktionalität wie bisher auf weniger Chipfläche unterbringen. Das spart nicht nur Herstellungskosten, sondern auch Energie und ermöglicht höhere Rechengeschwindigkeiten.
Ein völlig neues Transistor-Konzept
„Normalerweise arbeitet man heute in der Mikroelektronik mit Halbleitern, die gezielt verunreinigt werden“, erklärt Prof. Walter M. Weber vom Institut für Festkörperelektronik der TU Wien. „Das sind Materialien wie Silizium, in die bestimmte Fremdatome eingebaut werden. Man bezeichnet das als dotieren.“
Entweder handelt es sich um Fremdatome, die ein Elektron mehr haben als die Atome in ihrer Umgebung, dann kann dieses Elektron relativ leicht im Material herumwandern. Oder sie haben ein Elektron weniger und Elektronen der Umgebung rücken nach, dann fehlt das Elektron anderswo – in diesem Fall wandert also statt des Elektrons ein sogenanntes „Loch“ durch das Material: Eine Stelle, an der ein Elektron fehlt.
Beides – Ladungstransport durch bewegliche Elektronen und Ladungstransport durch bewegliche Löcher – spielt in der Mikroelektronik eine wichtige Rolle. Die Dotierung entscheidet, wo und in welche Richtung Strom fließen kann und wo nicht. Dadurch wird die Funktion von konventionellen Transistoren fix bei der Herstellung festgelegt und kann nichtmehr geändert werden. Der Stromfluss durch den Transistor wird dann mittels Steuerelektrode „an“ oder „aus“ geschaltet.
Doch es geht auch anders: Die Transistoren, die in den letzten Jahren an der TU Wien entwickelt wurden, beinhalten überhaupt kein dotiertes Material mehr. Stattdessen wird das Verhalten der Ladungsträger im Material durch elektrische Felder gesteuert: Elektrische Ladung wird über eine zusätzliche Elektrode in den Transistor eingebracht, und dadurch legt man fest, wie sich der Transistor verhalten soll. Man spricht von „elektrostatischer Dotierung“. Sie ersetzt den technisch sehr komplexen und teuren Prozess der Dotierung mit Fremdatomen.
„Bei uns ist also nicht wie bei herkömmlicher Halbleitertechnologie von Anfang an festgelegt, welche logische Operation eine bestimmte Schaltung durchführt. Wir können die Funktion einer Schaltung je nach Anforderung rekonfigurieren“, erklärt Dr. Masiar Sistani (ebenfalls Institut für Festkörperelektronik, TU Wien). „Man kann zum Beispiel aus zwei mit unserer Technologie sehr kompakten XOR-Verknüpfungen eine Additions-Schaltung machen. Mit herkömmlicher Technik müsste man zwei unterschiedliche Schaltungen für diese Aufgaben herstellen und daher viel mehr Chipfläche belegen, bei uns kann eine beides erledigen.“
Um maximale Flexibilität zu erreichen, musste man Bauteile entwickeln, die je nach Wunsch über Transport von Elektronen oder auch durch den Transport von Löchern betrieben werden können, und zwar mit der gleichen Schaltverhalten – eine große Herausforderung, die an der TU Wien gemeistert werden konnte.
Das bedeutet, dass mehr Funktionalität auf derselben Fläche untergebracht werden kann – und das ist für die Chipindustrie der entscheidende Parameter. „In heutigen Chips hat man verschiedene Blocks, die ganz bestimmte Aufgaben erledigen können“, erklärt DI Lukas Wind (Doktorand am Institut für Festkörperelektronik, TU Wien). „Man muss ständig Information von einem Block zum anderen schicken. Das braucht Zeit und kostet Energie.“ Mit der neuen, flexibleren Technik könnte man dieselbe Information effizient und Ressourcenschonend an einem Ort verarbeiten.
Nicht nur Transistoren, sondern funktionsfähige Schaltungen
Schon 2021 präsentierte das Team erste intelligente, konfigurierbare Transistoren. Nun allerdings gelang der entscheidende Schritt: Man konnte zeigen, dass sich daraus tatsächlich alle grundlegenden logischen Schaltungen zusammenfügen lassen – und dass man sie durch Rekonfiguration der Bauteile in andere Schaltungen umwandeln kann.
Die Forschungsgruppe kooperiert bereits mit Firmen aus der Chipindustrie. „Das Interesse ist groß“, sagt Prof. Walter Weber. „Natürlich ist das ein bedeutsamer Schritt, der nicht von einem Tag auf den anderen umsetzbar ist. Aber unser Ansatz erfordert keine neuen Materialien oder Prozesse, wir verwenden Silizium und Germanium, also Materialien, die auch heute eingesetzt werden.“
Jahrzehntelang basierten Fortschritte in der Mikroelektronik in erster Linie auf der Miniaturisierung der einzelnen Bauteile. In letzter Zeit allerdings stieß man auf natürliche Grenzen – spätestens, wenn man auf atomaren Größenskalen ankommt, ist eine weitere Miniaturisierung nicht mehr möglich. Gerade deshalb könnten intelligente, rekonfigurierbare Bauteile eine spannende Option für intelligente, selbstlernende oder auch neuronale Computersysteme sein, die ihre Funktion an das Anforderungsprofil anpassen können, um möglichst schnelle und energieeffiziente Berechnungen auszuführen.
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