Sprache und visuelle Repräsentationen überdenken
Sprache und visuelle Repräsentationen sind für alle wissensbasierten Aktivitäten, so auch in der Naturwissenschaft, Medizin und Umwelt sowie in den Technikwissenschaften, von zentraler Bedeutung. Wortwahl, Grafiken, Diagramme, Bilder und ikonische Zeichen haben die Macht, wissenschaftliche Praxen, gestellte Fragen, erzielte Ergebnisse und Interpretationen zu formen. „Eine Sprache zu teilen, bedeutet ein Begriffsuniversum zu teilen“, innerhalb dessen Annahmen, Urteile und Interpretationen von Daten Sinn ergeben (Keller, 1992). Sprache zu überdenken heißt auch, Konzepte und Theorien überdenken.
Das Überdenken von Sprache und visuellen Repräsentationen kann dazu beitragen:
- Annahmen außer Kraft zu setzen, die Innovation und Wissen unbewusst begrenzen oder einschränken können;
- Annahmen außer Kraft zu setzen, die unbewusst zur Verstärkung von Geschlechterungleichheiten beitragen.
Folgende Beispiele müssen beachtet werden:
- Metaphern, durch die unbeabsichtigt Hypothesen aufgestellt werden
Analogien und Metaphern sind sowohl Konstruktion wie auch Beschreibung. Sie bringen Hypothesen hervor und haben gleichzeitig eine Beweisfunktion. Die Analyse von Sprache – das „Erwecken“ von Metaphern – ermöglicht ein kritisches Urteil über die Art und Weise, wie die Metaphorik unsere Forschung strukturiert (Martin, 1992). Zum Beispiel nehmen Zoolog_innen häufig auf Tierherden (Pferde, Antilopen, Seeelefanten etc.) als „Harems“ Bezug. Das Wort „Harem“ beinhaltet Annahmen über die entsprechende soziale Organisation, in diesem Fall Polygynie. Forschende haben in Bezug auf dieses Beispiel nicht „begriffen“, was der Logik der Metapher äußerlich ist. Aktuelle DNA-Studien zu Mustangs belegen indes, dass ein bestimmter Hengst üblicherweise weniger als ein Drittel der Fohlen einer Pferdeherde zeugt. Forscher_innen, die die Vorstellung eines „Harems“ in Frage stellten, fanden heraus, dass sich weibliche Mustangs von Herde zu Herde bewegen und häufig mit dem Hengst ihrer Wahl paaren (Brown, 1995).
Inklusive Sprache
Inklusive Sprache kann in traditionell männlich dominierten Bereichen wie der Technik die Rekrutierung von Frauen und genderdiversen Personen erleichtern sowie ihre Verweildauer erhöhen – ebenso wie die Rekrutierung von Männern und genderdiversen Personen in traditionell weiblichen Bereichen wie Pflege oder Psychologie.
- Im Deutschen sollte „sie und er“ bzw. „die und der“ anstelle des generischen „er“ oder „der“ benutzt werden, wenn auf Personen oder Studierende Bezug genommen wird, deren biologisches Geschlecht nicht bekannt ist.
- Frauen können in der deutschen Sprache durch den Artikel „die“ bzw. durch das Suffix „-in“ sichtbar gemacht werden. Dabei ist im Deutschen auf Kongruenz zu achten: Julia möchte später einmal Physikerin werden. Julius möchte später einmal Physiker werden. Die TU Wien ist eine der größten Arbeitgeberinnen in Wien (Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen der TU Wien, 2010).
- Im Deutschen ist es wichtig, auf die Symmetrie zu achten, das heißt, Frauen und Männer sollten gleichwertig und symmetrisch benannt werden. Bei Nennung beider Geschlechter sollten also „Frauen“ und „Männer“, „Damen” und „Herren“ bzw. „Mädchen“ und „Burschen” gleichermaßen genannt werden. Werden Familien beispielsweise als solche angesprochen, sollte es entweder einfach nur „Familie XY“ heißen, oder aber „Familie Gerda und Kurt XY“.
- Um Sprache inklusiver zu gestalten, können neue Wörter eingeführt oder geschlechtsneutrale Bezeichnungen verwendet werden. So wurde zum Beispiel im Deutschen „der Fachmann” durch „die Fachkraft“ ersetzt; der „Rektor“ kann durch das neutrale „Rektorat“, das „Vaterland“ durch das neutrale „Herkunftsland“ ersetzt werden.
Visuelle Repräsentationen in Naturwissenschaft, Medizin und Technik beinhalten möglicherweise geschlechtlich flektierte Botschaften in Bezug auf 1) den Inhalt eines Feldes oder einer Disziplin; oder 2) die in einem Feld oder einer Disziplin tätigen Menschen. Folgendes ist zu beachten:
- Visuelle Aufbereitung von Daten
In die visuelle Aufbereitung von Daten können geschlechtsspezifische Annahmen einfließen. Wie im Fallbeispiel zum öffentlichen Verkehr angesprochen, stellen die folgenden Diagramme Fahrten in Madrid im Jahr 2014 dar. Die erste Grafik (unten links) bereitet Verkehrsdaten auf, wie sie traditionell gesammelt und berichtet werden. Sie betont bezahlte Arbeit, indem sie als einzelne, große Kategorie dargestellt wird. Sorgearbeit (in Rot dargestellt) zerfällt in viele kleine Kategorien und verbirgt sich unter anderen Überschriften wie Begleitung, Einkauf und Freizeit.
Das zweite Diagramm (rechts) konzipiert die Fahrten im öffentlichen Verkehr anders, indem Sorgefahrten unter einer Kategorie zusammengefasst sind. Die Visualisierung von Sorgefahrten in einer zugewiesenen Kategorie betont die Bedeutung von Sorgearbeit und ermöglicht es Verkehrstechniker_innen, Systeme zu entwerfen, die für alle Segmente der Bevölkerung gut funktionieren, die städtische Effizienz erhöhen und vor der Klimaerwärmung schützen (Sánchez de Madariaga, 2013, 2019).
Wenn Sprache und visuellen Repräsentationen überdacht werden, gilt es folgende Punkte zu beachten:
- In welcher Weise sind Metaphern möglicherweise geschlechtlich konnotiert und stellen unbeabsichtigte Hypothesen auf?
- Wirken geschlechtlich konnotierte Metaphern verstärkend auf Stereotype?
- Ist eine Wortwahl oder Bezeichnungspraxis geschlechtlich konnotiert?
- Schließen Benennungen oder die Wahl der Pronomen genderdiverse Personen aus?
- Inwieweit haben Fachbezeichnungen einen Einfluss darauf, wer sich für einen Beruf in Naturwissenschaft oder Technik entscheidet?
- Sind Sprache und Bilder genderinklusiv?
- Beinhalten die zur Visualisierung von abstrakten Konzepten verwendeten Grafiken, Schaubilder oder Bilder eine ungewollt geschlechtliche Konnotation?
- Begünstigt ein bestimmtes Wissenschafts- oder Technikfeld ein Selbstbild, das Botschaften über „geschlechtliche Angemessenheit“ der Teilhabe von Frauen, Männern und genderdiversen Personen transportiert?
- Sind die zur Illustration von grundlegenden wissenschaftlichen Prinzipien gewählte Problemstellungen oder Übungsaufgaben ungewollt geschlechtsspezifisch formuliert?
Relevante Fallstudien
Informatik Lehrpläne/Computer Science Curricula, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Lehrbücher/Textbooks, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Videospiele/Video Games, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Brown, N. (1995). The Wild Mares of Assateague. Research at Pennsylvania State University, 16, 15-19.
Christidou, V., & Kouvatas, A. (2011). Visual Self-Images of Scientists and Science in Greece. Public Understanding of Science, (Online in Advance of Print).
Keller, E. (1992). Secrets of Life, Secrets of Death: Essays on Language, Gender and Science. New York: Routledge.
Martin, E. (1992). The Woman in the Body: A Cultural Analysis of Reproduction. Boston: Beacon.
Ministerio de Fomento. (2007). Encuesta de Movilidad de las Personas Residentes en España (Movilia 2006/2007). Madrid: Ministerio de Fomento.
Sánchez de Madariaga, I. (2013). The Mobility of Care: A New Concept in Urban Transportation. In Sánchez de Madariaga, I., & Roberts, M. (Eds.) Fair Share Cities. The Impact of Gender Planning in Europe. London: Ashgate.
Sánchez de Madariaga, I. (2009). Vivienda, Movilidad, y Urbanismo para la Igualdad en la Diversidad: Ciudades, Género, y Dependencia. Ciudad y Territorio Estudios Territoriales, XLI (161-162), 581-598.