Was ist geschlechterreflexive Innovation?
Geschlechterreflexive Innovation macht die schöpferische Kraft der Analyse von biologischem und sozialen Geschlecht sowie intersektionaler Aspekte für Innovation und Entdeckungen nutzbar. Die Berücksichtigung dieser Zugänge kann wertvolle Forschungsdimensionen erschließen. Sie können die Forschung in neue Richtungen lenken. Eine Zusammenfassung hierzu findet sich im Artikel Sex and Gender Analysis Improves Science and Engineering, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster (Nature, 2019). Vergleiche hierzu auch den EU-Bericht Gendered Innovations 2: How Inclusive Analysis Contributes to Research and Innovation, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster.
Das begutachtete Projekt geschlechterreflexive Innovation
- entwickelt praktische Methoden der Analyse von biologischem und sozialem Geschlecht und intersektionalen Aspekten für Wissenschaftler_innen und Techniker_innen;
- bietet Fallstudien als konkrete Illustrationen für die Innovationskraft der Analyse von biologischem und sozialem Geschlecht und intersektionalen Aspekten.
Londa Schiebinger spricht im folgenden Videoclip über das Projekt:
Warum geschlechterreflexive Innovationen?
Forschung falsch zu betreiben, verursacht hohe finanzielle und menschliche Kosten. So wurden etwa zwischen 1997 und 2000 zehn Medikamente wegen lebensbedrohender Nebenwirkungen vom US-Markt genommen. Acht von ihnen „stellten für Frauen ein höheres Risiko dar als für Männer“ (U.S. GAO, 2001). Nicht nur, dass die Entwicklung eines Medikaments auf dem aktuellen Markt Milliarden verschlingt – wenn Medikamente versagten, verursachten sie auch menschliches Leid und kosteten Leben.
Geschlechtsspezifische Voreingenommenheit führt auch zu verpassten Marktchancen. In der Technik etwa bewirkt die Bewertung von kleingewachsenen Menschen (viele Frauen, aber auch viele Männer) als „falsch sitzende Fahrer_innen“ zu schwereren Verletzungen bei Autounfällen (s. Inklusive Crashtest-Dummys, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster). Bei der Bilderkennung kann es sein, dass Gesichtserkennungssoftware, die aus voreingenommenen Datenreihen gelernt hat, Frauen schlechter erkennt als Männer oder dunkelhäutigere Menschen weniger gut als hellhäutige, sodass dunkelhäutige Frauen möglicherweise überhaupt nicht erkannt werden (s. Gesichtserkennung, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster). Gesichtserkennung erkennt vielleicht auch Transgender-Personen nicht, insbesondere in Übergangsphasen. Wenn in der Grundlagenforschung nicht entsprechende männliche und weibliche Zell- oder Gewebeproben oder Versuchstiere verwendet werden, führt dies zu fehlerhaften Ergebnissen (s. Stammzellen, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster). In der Medizin verzögert die fehlende Anerkennung von Osteoporose als Krankheit von Männern bei diesen zu späterer Diagnose und Behandlung (s. Osteoporoseforschung bei Männern, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster). In der Stadtplanung führt die Unterlassung der Sammlung von Daten über Pflegearbeit zu ineffizienten Transportsystemen (s. Smarte Mobilität, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster). Fehlerhafte Forschung können wir uns nicht leisten.
Forschung kann Leben retten und Geld sparen. Es ist äußerst wichtig, Verzerrungen zu identifizieren. Doch darf die Analyse dabei nicht innehalten: Gendered Innovations bietet modernste Methoden der Analyse von biologischem und sozialem Geschlecht sowie von intersektionalen Aspekten. Die Einbindung dieser Methoden in Grundlagen- und angewandte Forschung fördert strategisch und praktisch die Exzellenz in Naturwissenschaft, Gesundheit + Medizin sowie Technik. Die Methoden der Analyse von biologischem und sozialem Geschlecht sowie von intersektionalen Aspekten sind nur eines von mehreren Methodenbündeln, die Wissenschafter_innen in ein Projekt einbringen.
Drei strategische Zugänge
Regierungen und Universitäten haben in den vergangenen Jahrzehnten drei strategische Zugänge zur Geschlechtergleichheit gewählt:
- „Zahlen in Ordnung bringen“ konzentriert sich darauf, die Teilhabe von Frauen und unterrepräsentierten Gruppen zu erhöhen.
- „Institutionen reparieren“ fördert inklusive Gleichheit in Laufbahnen durch strukturelle Veränderungen in Forschungseinrichtungen (NSF; Europäische Kommission, 2011).
- „Wissen richtigstellen“ oder „geschlechterreflexive Innovationen“ fördert Exzellenz in Wissenschaft und Technik durch die Integration der Analyse von biologischem und sozialem Geschlecht sowie von intersektionalen Aspekten in die Forschung.
Projekthintergrund
Das Projekt Gendered Innovations wurde im Juli 2009 an der Stanford University initiiert. Von 2011 bis 2013 setzte die Europäische Kommission eine Expert_innengruppe zu „Innovation through Gender“ ein, um die Geschlechterdimension in der EU-europäischen Forschung und Innovation zu entwickeln. Die U.S.-amerikanische National Science Foundation beteiligt sich seit Januar 2012 an dem Projekt. Von 2018–2020 aktualisierte und erweiterte die Expert_innengruppe Horizon 2020 Gendered Innovations (G12) die Methoden und Fallstudien von Gendered Innovations.
Um dem globalen Aktionsradius von Wissenschaft und Technik gerecht zu werden, erfolgte die Ausarbeitung der Fallstudien und Analysemethoden von biologischem und sozialem Geschlecht im Rahmen von internationalen Kollaborationen. Mehr als 200 Expert_innen aus ganz Europa, den Vereinigten Staaten, Kanada und Asien beteiligten sich an einer Reihe von begutachteten interdisziplinären Workshops und Kollaborationen (s. Mitwirkende)
Kollaborationen
Gendered Innovations wirkte an der Erstellung des genSET Consensus Report, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster 2010 und an den im März 2011 verabschiedeten Resolutionen, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster der Vereinten Nationen zu Geschlecht, Naturwissenschaft und Technik mit.
Am 9. Juli 2013 wurde das Projekt Gendered Innovations im Europäischen Parlament vorgestellt. Im Rahmen dieser Sitzung veröffentlichten wir Gendered Innovations: How Gender Analysis Contributes to Research, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster mit einem Vorwort von Máire Geoghegan-Quinn, Mitglied der Europäischen Kommission. Die Richtlinien der Europäischen Union betonen „die Geschlechterdimension in Forschungs- und Innovationsinhalten“.
Im August 2015 war geschlechterreflexive Innovation das Thema des Gender Summit 6 Asia Pacific, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster in Seoul, Südkorea. Im September 2015 veröffentlichte die League of European Research Universities Gendered Research and Innovation, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster.
Im Jahr 2020 erschien der Bericht der Expertengruppe der Europäischen Kommission unter dem Titel Gendered Innovations 2: How Inclusive Analysis Contributes to Research and Innovation, herausgegeben von Londa Schiebinger und Ineke Klinge (Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union) mit einem Vorwort der Europäischen Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend, Mariya Gabriel.
Ziel des Projekts Gendered Innovations
Das Projekt Gendered Innovations hat zum Ziel, Wissenschaftler_innen und Techniker_innen geeignete Methoden zur Analyse des biologischen sowie des sozialen Geschlechts an die Hand zu geben. Um dem globalen Aktionsradius von Wissenschaft und Technik gerecht zu werden, wurden die Methoden der Analyse von biologischem und sozialem Geschlecht in internationalen Kollaborationen entwickelt. Gendered Innovations bindet Expert_innen aus den U.S.A., den 28 EU-Mitgliedsstaaten und Kanada ein. Wir haben nun auch nach Asien expandiert (s. Mitwirkende, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster).
Fallstudie