Was passiert mit alten leerstehenden Gebäuden? Sie werden oft nicht beachtet und verfallen oder sie werden einfach abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Schade eigentlich, denn in alten Gebäuden schlummern ungeahnte Rohstoff-Schätze. So auch am Rennweg 89 A, einem ehemaligen Waisenhaus aus dem 17. Jahrhundert mit rund 900 m² Nutzfläche. In den nächsten drei Jahren soll dort am Rennweg auf gut 500 m² ein innovativer, kreativer und außerschulischer Lernort zu den Themenfeldern Klimawandel, Klimawandelanpassung und Kreislaufwirtschaft entstehen.
Für das Transformer-Projekt haben sich an der TU Wien Forscher_innen und Mitarbeiter_innen aus sechs unterschiedlichen Fakultäten zusammengeschlossen. Welche Schätze es im Haus am Rennweg zu entdecken gibt und wie das Projekt genau aussieht verraten Bianca Köck, Bettina Mihalyi-Schneider, Ines Kirchengast und Azra Korjenic im Gespräch.
Wie ist die Idee zu diesem Projekt entstanden?
Bianca Köck: Das Projekt ist aus einer Projekteinreichung bei der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster entstanden und wird vom Klima- und Energiefonds/FFG gefördert. Mit diesem Projekt wollen wir einen Raum für Kinder und Jugendliche schaffen, in dem sie ihre kreativen Ideen einbringen können. Auch die Nachbarschaft, Pädagog_innen, Familien, also die breite Öffentlichkeit wollen wir ansprechen und einladen, sich beim Projekt aktiv einzubringen.
Umsetzen konnten wir das Projekt nur, weil es einerseits viele engagierte Kolleg_innen an der TU Wien gibt, die das Thema vorangetrieben haben und so eine Umsetzung letztendlich möglich gemacht haben. Andererseits stehen uns viele Partner_innen beratend und unterstützend zur Seite. Das sind Firmen und Unternehmen aus dem Bildungssektor, der Wirtschaft, von städtischen Stellen, NGOs und Vereine und einige Startups.
Azra Korjenic: Besonders erfreulich ist, dass uns die Bundesimmobiliengesellschaft BIG, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster die Räumlichkeiten für das Projekt zur Verfügung gestellt hat. Die Räume für unser Projekt liegen im Erdgeschoss, einige Räume sind auch im ersten Stock, sogar den kleinen Garten im Hinterhof können wir mitbenützen. Das wird vor allem im Sommer angenehm sein.
Bianca Köck: Einer der letzten Nutzer war eine private Schule, die viele Dinge zurückgelassen hat als sie ausgezogen ist. So haben wir neben zahlreichen Möbelstücken auch Schulbücher, Monitore, Fernsehapparate und vieles mehr geerbt. Es sind sogar so viele Sachen, dass wir nicht alle selbst verwenden werden können und einige dieser Stücke über verschiedene Plattformen verschenken bzw. Interessierten gratis zur Abholung bereitstellen.
Was ist das Ziel, was der Nutzen des Projekts?
Bianca Köck: Ziel ist es einerseits Wissenschaft zu vermitteln, andererseits auch gemeinsam und interdisziplinär etwas zu erarbeiten. Es soll ein Experimentierort werden, wo Kinder und Jugendliche gerne hinkommen und gemeinsam an Lösungen arbeiten, sich vernetzen und austauschen, Erfahrungen sammeln und etwas für ihre und unsere gemeinsame Zukunft lernen. Aus anderen Projekten wissen wir, dass es vor allem am Anfang schwer ist, die Zielgruppe einerseits zu erreichen und andererseits zu motivieren mitzumachen. Da die Themen Klima, Klimawandel sowie Recycling und Kreislaufwirtschaft einerseits aktuell und andererseits sehr breit sind, hoffen wir, dass wir dadurch viele unterschiedliche Gruppen ansprechen. Außerdem wird unser Projekt zum Angreifen sein. Wir sprechen ja nicht nur über diese aktuellen Themen, sondern legen gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen Hand an, um Neues entstehen zu lassen. Azra Korjenic und Katharina Tielsch haben über ihre Schulprojekte Kontakte zu zahlreichen Schulen in Österreich, die sehr interessiert sind mitzumachen.
Ines Kirchengast: Wir wollen Kindern und Jugendlichen einen Safe Space bieten, ein Riesen-Experimentierhaus, einen Platz, wo sie sich ausprobieren können. Sie können jederzeit herkommen und können Fragen zu den gerade genannten Themenkomplexen stellen, die wir nicht nur zu beantworten versuchen, sondern hier vor Ort gemeinsam Lösungen erarbeiten und in unserer Materialwerkstatt auch aktiv umsetzen werden. Zusätzlich planen wir Flinta*-Maßnahmen1 einzusetzen und Monitoring zu machen, damit sich jeder und jede bei uns willkommen fühlt und wohlfühlt.
Bettina Mihalyi-Schneider: Durch die Beteiligung an Workshops erleben und begreifen die Kinder und Jugendlichen Zusammenhänge selbst und mit diesen Erfahrungen kann das Wirrwarr an Informationen und Falschmeldungen aus dem Internet für die Zielgruppe besser verständlich gemacht werden. Außerdem wollen wir mit möglichen Vorurteilen aufräumen und den Kindern und Jugendlichen zeigen, was sie alles selber in Richtung einer nachhaltigen Zukunft bewegen können. Damit soll mehr Zukunfts-Optimismus entwickelt werden, weil den wenigsten Menschen bewusst ist, dass jeder/jede einen Beitrag leisten kann.
Ines Kirchengast: Die Inhalte sollen niederschwellig aufbereitet sein, um so möglichst viele Kinder und Jugendliche zu erreichen. Wir wollen Kompetenzen aufbauen, aber auch Spaß soll nicht zu kurz kommen.
Azra Korjenic: Wir wollen außerdem viel Bewusstseinsbildung bei unseren zukünftigen Entscheidungsträger_innen betreiben.
Bianca Köck: Aber auch zum konkreten Handeln auffordern und anleiten. Denn das beste Bewusstsein für eine Sache hilft recht wenig, wenn daraus keine konkreten Handlungsschritte folgen.
Wie sieht die konkrete Umsetzung aus?
Bianca Köck: Das Projekt hat Anfang Dezember gestartet und soll drei Jahre dauern. Danach hat sich das Projekt hoffentlich so gut etabliert und ist quasi ein Selbstläufer geworden. Aus den Erfahrungen der unterschiedlichen Bildungsangebote hoffen wir dann neue Konzepte entwickeln zu können, um eine Bevölkerungsbeteiligung in unserer Wissenschaft weiter voranzutreiben. Damit würde die TU Wien nach den drei Jahren als eine Art Wissenschaftskommunikations-Zentrum beratend zur Seite stehen können.
Das erste Jahr im Projekt ist die sogenannte Aufbauphase. Dabei geht es darum das Gebäude nutzbar zu machen und die Räume zu gestalten. Derzeit sind wir mitten im Umbau. Es werden Wände durchgebrochen, es wird neu ausgemalt und die Elektrik wird erneuert. Auch hier beziehen wir bereits Jugendliche bei der Planung und den Umbauarbeiten (z.B. aus überbetrieblichen Lehren) mit ein. Im Erdgeschoss werden unsere Experimentierräume entstehen. Diese liegen nebeneinander und so ist der Materialkreislauf auch optisch gut zu sehen. Nach und nach sollen die Räume dann mit Maschinen, Werkbänken und Mobiliar gefüllt werden. Einige Kolleg_innen haben schon jetzt Sachen gespendet, die zu Hause nicht mehr gebraucht werden. Auf diese Weise haben wir schon ein Klavier und ein paar Sitzmöbel bekommen.
Im zweiten und dritten Jahr sind wir in der Betriebsphase, da geht es dann an die konkrete Umsetzung des Materialkreislaufes. Dieser wird sich folgendermaßen abspielen: Von der „Materialmine“, wo vorhandene Produkte in die einzelnen Rohstoffe zerlegt werden, weiter zur „Kreativküche“, wo aus alten Sachen neue Dinge entstehen bis zum „Zukunftsportal“, wo die neugebauten Ideen optimiert werden. Gefällt eine umgesetzte Idee dann doch nicht oder es stellt sich in der Verwendung heraus, dass es nicht so funktioniert wie ursprünglich geplant, so wird das Objekt wieder zerstört, also in seine Einzelteile zerlegt, und erneut in die „Materialmine“ eingebracht. Damit schließt sich der Materialkreislauf aus zerlegen, neu bauen und optimieren.
Wir planen vor Ort an zwei Tagen pro Woche ein fixes Programm anzubieten und an einem Tag pro Woche eine offene Werkstatt. Im Sommer sollen spezielle Sommer-Workshops angeboten werden. Derzeit erarbeiten wir mit dem TU-internen Projekt-Team von Cultural Collisions Workshops für Juni und Juli 2024 im Rahmen der Klima-Biennale, die 2024 (Anmerkung von 5. April bis 14. Juli 2024) erstmals in Wien über die Bühne gehen wird.
Bettina Mihalyi-Schneider: Die Hauptzielgruppe sind Schüler_innen, auch Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten wollen wir ansprechen, ebenso Kinder und Jugendliche mit speziellen Bedürfnissen. Diese binden wir bereits jetzt mit ins Projekt und vor allem in die Raumgestaltung aktiv ein, um die Räume auch barrierefrei erlebbar zu machen. Wir haben das Projekt jedoch weitergedacht, auch Pädagog_innen und Schulen, Familien, die Nachbarschaft, TU Wien Forschende und Mitarbeiter_innen sowie die breite Öffentlichkeit sind eingeladen, sich aktiv am Projekt zu beteiligen. Sei es als Schule, die mitmachen möchte oder Personen die als Volunteers das Projekt begleiten oder Firmen, die uns als Projektpartner unterstützend zur Seite stehen wollen.
Wer ist an dem Projekt beteiligt?
Bianca Köck: Mittlerweile ganz schön viele (lacht). Wir haben ein Projekt-Kernteam bestehend aus vier Personen mit neun weiteren Vertreter_innen aus den sechs beteiligten TU Wien Fakultäten (Anmerkung Fakultäten für Architektur und Raumplanung, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster, für Bau- und Umweltingenieurwesen, für Elektrotechnik und Informationstechnik, für Informatik, für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster sowie für Technische Chemie), die an dem Projekt beteiligt sind. Jedes Team-Mitglied bringt spezielle Kenntnisse und Expertise mit. Unser Allroundtalent Ines Kirchengast von der Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwesen beispielsweise wird hauptsächlich das Projekt vor Ort betreuen. Sie ist unsere Umsetzerin, neben ihrer Erfahrung in Architektur und Möbelbau bringt sie Erfahrung aus dem künstlerisch-handwerklichen Bereich sowie aus dem Gold- und Silberschmieden mit.
Ines Kirchengast: Danke für das Kompliment, dass ich ein Allroundtalent bin. Ich freue mich schon sehr neben den theoretischen Inhalten mit Kindern und Jugendlichen spannende Ideen im Transformer praktisch umzusetzen, um so spielerisch komplexe Themenbereiche zu erarbeiten. Die Arbeit vor Ort wird sicherlich lehrreich für alle Beteiligten. Studierende unterstützen uns ebenfalls im Projekt, wie beispielsweise Alexander Pichlhöfer. Er ist Verfahrenstechnik-Student mit einem Background in Chemie und Berufserfahrung in der Industrie und wird uns als Projektmitarbeiter (Ökologische Bautechnologien) unterstützend zur Seite stehen.
Bianca Köck: An der TU beschäftige ich mich mit Ökobilanzen, ich war aber davor in unterschiedlichen Altersstufen als Pädagogin und im Bereich Umweltbildung tätig und bringe daher vorwiegend diese Aspekte mit ein. Ich möchte erreichen, dass Kinder und Jugendliche zum Handeln ermächtigt werden. In den letzten 30 Jahren wurde im öffentlichen Raum aber auch in der Wissensvermittlung viel über Umweltschutz und in letzter Zeit auch viel über Klimawandel diskutiert, konkrete Handlungen und Verhaltensänderungen folgen aber nur sehr selten. Ich würde das Projekt gerne nutzen, um vom Knowledge zum Know-how und zum konkreten Umsetzen zu kommen. Auch das Thema Nachhaltigkeit liegt bei mir, obwohl die größere Nachhaltigkeitsexpertin eindeutig Bettina Mihalyi-Schneider ist.
Bettina Mihalyi-Schneider: Als Verfahrenstechnikerin sind Nachhaltigkeit und Ökobilanzen zur Unterstützung der Prozessentwicklung für eine umweltschonende Produktion Themen mit denen ich mich in meiner Forschung beschäftige. Ich finde es wichtig, dass wir Kinder und Jugendliche zum Nachdenken anregen und ihnen so helfen selbst Lösungen zu erarbeiten und eigene wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Sie haben in den Workshops die Möglichkeit, die Grundlagen eines Handwerks zu erlernen und selbst Verantwortung für Dinge zu übernehmen. Ich bin zwar keine ausgebildete Pädagogin, habe aber selbst drei Kinder und kann aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen, was das Motivieren und Anleiten von Kindern bei unterschiedlichen Projekten betrifft.
Ich freue mich jedenfalls, Teil des Projektteams zu sein. Und jetzt, wo ich darüber nachdenke, wer maßgeblich an der Projektplanung beteiligt ist, merke ich gerade, dass wir mehr Frauen als Männer sind, ungefähr 80% weibliche Unterstützerinnen, was an einer technischen Universität leider immer noch ungewöhnlich ist.
Azra Korjenic: Ich habe in den letzten Jahren durch zahlreiche FFG-Projekte im Bereich „grüne Schulen“ viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit jungen Menschen sammeln können. In den Projekten grüne Schulen geht es darum, herauszufinden wie bestehende Gebäude am optimalsten begrünt werden können und wie sich die Begrünung auf das Mikroklima innen und außen sowie die Energieeffizienz, das Gebäude und deren Nutzer_innen auswirken. Dazu haben wir auch zahlreiche low cost Begrünungssysteme für innen und außen entwickelt inkl. Schritt für Schritt Bauanleitungen mit allen Informationen. Auf der Mehr-Grüne-Schulen-Homepage finden die Schüler_innen und Lehrpersonal alles, was sie brauchen, um beispielsweise ihre Klassenräume oder Schulen zu begrünen.
Im Projekt Transformer lernen sie auf spielerische Weise, möchte ich sagen, die Grundelemente des ökologischen Bauens mit Lehm, Stroh, Schafwolle oder Hanf sowie der Kreislaufwirtschaft kennen. Dieses Wissen wird neben den Schwerpunktthemen der anderen Fakultäten bei den Workshops hier am Rennweg dann eingebracht und genützt werden. Aus meiner Zusammenarbeit mit den Kindern und Jugendlichen weiß ich, dass sie mit Fleiß, Eifer und Mut dabei sind, gerne Ideen einbringen und sehr positiv eingestellt sind, Neues auszuprobieren. Und das stimmt mich wieder positiv, dass einerseits auch dieses Projekt am Rennweg erfolgreich sein wird und andererseits die junge Generation eine Klima- und Energiewende mit Anleitung und Unterstützung schaffen wird.
Bianca Köck: Meine Kollegin Tina Selami ist ebenfalls Teil des Projekt-Kernteams, sie wird mich während meiner Karenz vertreten. Sie hat Architektur studiert mit einem Schwerpunkt auf nachhaltiges Bauen und wird ihre Expertise gut in die Workshops miteinbringen können.
Zum Abschluss möchte ich die Gelegenheit gerne noch für einen Aufruf an alle Interessierten nützen. Wir freuen uns über alle Unterstützungsmaßnahmen. Das kann das Einbringen von Ideen sein, aber auch aktive Mitarbeit als Volunteers oder Unterstützung als Projektpartner_innen. Wir stehen schon mit einigen Schulen im direkten Kontakt, freuen uns aber, wenn wir noch weitere Bildungseinrichtungen zum Mitmachen motivieren können.
Auf dem Laufenden bleiben unter https://transformer.project.tuwien.ac.at/, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Weiterführende Links grüne Schulen
https://www.tuwien.at/cee/mbb/obt/forschung/forschungsprojekte/mehrgrueneschulen/projekt
1 Mit dem Wort Flinta* sind nicht nur Frauen, sondern explizit auch Lesben, nonbinäre, Trans-, Inter- und Agender-Personen gemeint. Das Sternchen wiederum repräsentiert alle Geschlechtsidentitäten, die sich im Flinta-Begriff nicht wiederfinden.