Hannes Kaufmann im Interview
Der Professor kennt die Entwicklungen im Bereich der Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) aus 20 Jahren Forschung in diesem Bereich. Für ihn selbst steht bei seiner Forschung im Vordergrund, sinnvolle Anwendungen im Sinne der Menschheit zu entwickeln. Über aktuelle Forschungsprojekte, über Probleme, die durch die fehlende Zusammenarbeit mit internationalen Tech-Konzernen entstehen, über das Studium und Jobaussichten für Studierende, erzählt er im Interview.
Herr Professor Kaufmann, an welchen Projekten arbeitet ihr Forschungsbereich gerade?
Hannes Kaufmann: Wir beschäftigen uns mit der Haptik, also dem Tastsinn, und arbeiten mit einem mobilen Roboter, durch den wir die Illusion haptischer Sinneseindrücke erzeugen. Der Roboter fährt als persönlicher Assistent neben einem_r VR-Benutzer_in mit. Sobald der Benutzer zum Beispiel eine virtuelle Wand berühren möchte, hält der Roboterarm ein reales Objekt (z.B. ein Brett) an die richtige Stelle und macht uns so glauben, dass wir etwa einer Wand gegenüberstehen (mehr dazu, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster in Tl. 1 des Interviews mit Hannes Kaufmann). Zudem wurde gerade ein Antrag für ein TUW-weites Mixed-Reality-Labor gefördert an dem alle Fakultäten und fünf akademische Partnerorganisationen beteiligt sind. In diesem Mixed-Reality-Labor, dessen Einrichtung heuer beginnt, werden wir mitunter auch mit Raumklängen experimentieren: 192 Lautsprecher werden im Raum montiert um unterschiedliche Umgebungen räumlich korrekt akustisch zu simulieren und mehreren Besucher_innen korrekten Raumklang wiederzugeben.
Weiters arbeiten wir aktuell in zwei Projekten an VR-Trainingssystemen für Einsatzkräfte (Feuerwehr und Rettung) und in zwei weiteren Projekten am Einsatz von VR und AR für die Baubranche.
Wo findet Entwicklung und Forschung im Bereich Virtual und Augmented Reality statt und in welche Richtung geht diese Forschung?
HK: An den Universitäten betreiben wir Grundlagenforschung und angewandte Forschung, wobei in Österreich seit über 25 Jahren Forschung im Bereich VR und auch sehr intensiv im Bereich AR betrieben wird, wodurch große Firmen hier Forschungszentren gegründet haben. Generell arbeiten wir an neuen Methoden, Algorithmen und Softwarekomponenten und entwickeln innovative VR/AR Systeme, die aus bestehenden Hardwarekomponenten zusammengesetzt sind. Dabei sind wir sehr stark auf am Markt verfügbare Hardware angewiesen.
Wir haben diesbezüglich in Europa ein Manko, weil wir abhängig von einigen wenigen Herstellern aus den USA und in Asien sind. In Europa gibt es bisher nur zwei Firmen, die VR-Brillen entwickeln. Das führt zu Problemen in der Forschung, da wir oft auf die neuesten Geräte warten müssen und Softwarebeschränkungen unterliegen. Wir können auch keinen Einfluss auf sinnvolle Hardwareanpassungen oder -änderungen nehmen.
Heißt das, Sie haben selbst als Top-Forscher in diesem Bereich keine Möglichkeit direkt in Kontakt mit Hardwareproduzenten zu treten?
HK: Das ist ausgeschlossen. Chinesische Hersteller haben kein Interesse am europäischen Markt, es besteht kein Kontakt. Zuerst produzieren sie für den chinesischen Markt, dann vielleicht für die USA. Ähnlich verhält es sich mit amerikanischen Produkten. Mit Glück kommt die Entwicklung nach einem Jahr zu uns – wie etwa die Microsoft HoloLens, die zuerst nur am amerikanischen Markt verfügbar war und wir erst nach einem halben Jahr über amerikanische Kollegen bekommen haben. Für die Forschung ist das ein großes Problem, weil wir mit den Geräten publizieren und arbeiten müssen. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass amerikanische Kolleg_innen neue Methoden entwickeln, Benutzerstudien durchführen und publizieren bevor wir an die Geräte kommen.
Manchmal kommen Geräte auf den Markt, die nur in einigen europäischen Ländern erhältlich sind, in denen der Markt groß genug ist z.B. Hardware, die in Deutschland verkauft wird, aber nicht in Österreich.
Warum fehlt bei den Produzenten das Interesse daran, dass man mit den führenden Leuten in der Forschung zusammenarbeitet?
HK: Das Denken innerhalb von Konzernen funktioniert anders. Geforscht wird dort hinter verschlossenen Türen, Knowhow soll nicht nach außen dringen. Bei Microsoft, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster arbeiten rund 1.000 Forscher_innen an der HoloLens, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster. Diese Personalkapazitäten hat keine universitäre Forschungsgruppe. Forscher_innen werden von Unis abgeworben und eingekauft, statt öffentlich zugänglicher wissenschaftlicher Publikationen werden Patente für Konzerne geschrieben.
Der Technologiekonzern Qualcomm, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster etwa hat nur Interesse an Großkunden, das heißt, neue Chips werden direkt an Produzenten verkauft. Dabei sprechen wir von Stückzahlen von tausenden, zehntausenden Chips. Kurz gesagt: Das Hauptinteresse der Großkonzerne liegt in den Umsatzzahlen und am Massenmarkt; Unis und universitäre Forschung sind für sie vollkommen uninteressant. Durch die Corona-Pandemie ist die Frage drängender geworden, da es noch immer Probleme mit Lieferengpässen gibt. Gegen eine solche Wiederansiedelung von Produktionsstätten in Europa sprechen die hohen Investitionskosten, wobei die EU laut aktuellen Meldungen hier investieren möchte.
Das ist genau das Gegenteil von universitärer Forschung, wo neues Wissen nachvollziehbar und reproduzierbar generiert wird, um neue Anwendungen zu ermöglichen. Das von Konzernen erforschte Wissen bleibt aber privat und wird monetarisiert.
HK: Genauso ist es. Wir können in gewissen Bereichen keine Beiträge liefern, weil Konzerne, dort wo sie Profit sehen, enorme Gelder hineinstecken können. Ein Beispiel ist der große Grafikkartenhersteller Nvidia, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster, der sehr viel Forschung im Computergrafikbereich für Spiele betreibt. Im Vergleich: Nvidia kann auf bestimmte Probleme 50 Leute ansetzen – da haben wir einfach nicht die entsprechenden Ressourcen. Also gehen wir in Bereiche, wo die „Großen“ sich nicht engagieren oder die als weniger massentauglich empfunden werden.
Forschen für die Gesellschaft
Forschungsgegenstände haben wir viele: so forschen wir an Anwendungen wie z.B. Trainings für die Feuerwehr oder andere Einsatzkräfte. Dieser Bereich ist für große Hersteller nicht interessant, aber für die Gesellschaft ist er enorm wichtig. Wir betreiben viel Forschung in Zusammenarbeit mit Klein- und Mittelunternehmen in Österreich (KMUs), die spannende Aufgaben an uns herantragen. Wir arbeiten auch mit der Industrie zusammen im Bereich „Digital Twin“: In großen, begehbaren virtuellen Umgebungen kann die Einschulung von Mitarbeiter_innen an Maschinen stattfinden, bevor diese Anlagen real vorhanden sind. Wir haben auch Produktpräsentationen von Varianten großer Backmaschinen entwickelt (die schon aus Platzgründen nicht in einen Schauraum passen würden).
Mir persönlich ist es wichtig, mich mit ernsthaften Anwendungen zu beschäftigen, das sehe ich auch als meinen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft. Außerdem finde ich es sehr reizvoll, verschiedene Anwendungsbereiche und Forschungsfragen kennenzulernen. Wenn wir Anwendungen für Rettungsleute oder im medizinischen Bereich entwickeln, lernen wir sehr viel allein durch die Diskussion mit den Anwender_innen.
Wir haben zum Beispiel ein Trackingsystem für Tunnel entwickelt. Dabei lassen sich im Tunnel auf große Distanz die Position von Maschinen genau verfolgen. Dieselbe optische Positionierungstechnologie kann natürlich auch für andere Zwecke verwendet werden z.B. in der Rehabilitation für die Erfassung und Analyse der Bewegungen von Patienten.
Wie groß ist die Gruppe, die bei Ihnen im Forschungsbereich an einem Forschungsprojekt arbeitet?
HK: Üblicherweise beschäftigen sich ein bis zwei, höchstens drei Leute mit einem Projekt. Das ist eine Frage der Finanzierung. Einmal hatten wir ein Auftragsforschungsprojekt, an dem sechs Personen gearbeitet haben, allerdings nur für ein halbes Jahr.
Ist die Situation international vergleichbar?
HK: In der Forschung schon. Üblicherweise ermöglicht das Budget von geförderten Forschungsprojekten im Durchschnitt die Anstellung von ein bis drei Projektmitarbeiter_innen für bis zu vier Jahre. Es gibt einige wenige größere Forschungsinitiativen, die eine Anstellung von mehr Personen für bis zu sieben Jahre erlauben. Im Allgemeinen wurde es durch kurzfristige Projektbudgets, die hochkompetitiv vergeben werden, schwierig, größere Themenbereiche, die langfristige Forschung benötigen, anzugehen.
Wie kommt man als Studierende_r in ihren Bereich – ab wann kann man sich spezialisieren?
HK: Die Lehrveranstaltungen zu Virtual- andAugmented Reality sind fester Bestandteil in den Masterstudien „Visual Computing, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster“ und „Media and Human-Centered Computing, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster“. Weiters werden Grundlagen in der Vorlesung „Multimedia“ im Bachelorstudium vermittelt. Das neue Bachelorstudium Informatik (ab Oktober 2023) erlaubt eine Spezialisierung „Visual Computing“ schon ab dem 2. Semester. Wir freuen uns wirklich über alle Studierenden, die Interesse an VR/AR haben. In unseren Lehrveranstaltungen kann man praktisch mit VR-Brillen und VR-Hardware arbeiten. Auch das neue Mixed-Reality-Labor wird in Zukunft in Lehrveranstaltungen eingesetzt werden.
Grundsätzlich möchte ich noch ergänzen, dass die Jobaussichten für Studierende im Bereich VR/AR, sowie im gesamten Visual Computing Umfeld exzellent sind. Wir bekommen laufend Jobanfragen von Firmen nach Absolvent_innen. Um einen Kollegen zu zitieren: „Innerhalb von drei Stunden bekommt man einen Job“.
Diskutieren mit Hannes Kaufmann am 27.1.2023
Für alle, die die Lust auf eine Diskussion mit Hannes Kaufmann haben, steht er im Q/A auf unseren Social Media-Kanälen Instagram, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster und Facebook, öffnet eine externe URL in einem neuen FensterRede und Antwort. Wann? Freitag, 27.1.2023, 9:00–11:00 Uhr.
Dieses Interview entstand im Rahmen eines Beitrags für TUW Magazine Themenheftes „Science Fiction“. Hier, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster ein kostenloses Abo abschließen.
„Revolution Gedankenübertragung, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster“ ist Teil 1 des Interviews mit Hannes Kaufmann über den derzeitigen Entwicklungsstand von VR und AR-Anwendungen, ethische Fragen und Tabus sowie die gesellschaftliche Verantwortung der Forschung. Hier zu lesen: https://www.tuwien.at/tu-wien/aktuelles/news/revolution-gedankenuebertragung-hannes-kaufmann-im-interview, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Hannes Kaufmann ist Professor an der TU Wien für Virtual and Augmented Reality, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster und leitet den gleichnamigen Forschungsbereich. Seine Schwerpunkte sind u.a.: mobile Computing, 3D User Interface Design, Bildung in Mixed Reality, VR, Bewegung und Tracking, Augmented Reality.
Interview: Edith Wildmann