Sevilla, Sommersemester 2019/20
Huber Miriam
März 2020
Bevor das Corona Virus auch Spanien heimgesucht hat und sich mein Erasmussemester auf eine 60 m² Wohnung in Sevillas Wohnviertel beschränkte, konnte ich zumindest ein paar Wochen Spanien und Unialltag erfahren.
Sevilla ist im Süden, die Hauptstadt Andalusiens, Wiege des Flamencos und der Tapas. Im Sommer soll es heiß werden, momentan befinden wir uns bei angenehmen 20 bis 30 °C. Der Dialekt hier kann etwas fordernd sein, so haben die Einwohner, Sevillanos, die unangenehme Angewohnheit nur die erste Hälfte der Wörter zu sagen. Dass damit auch meine südamerikanischen StudienkollegInnen anfangs Probleme hatten, beruhigte mich sehr! Was die Sevillanos an Buchstaben nicht sagen, wird von ihnen allerdings durch die insgesamte Anzahl der Wörter kompensiert.
Neben der wunderschönen Altstadt kann ich vor allem Sevillas perfekt ausgebaute Radinfrastruktur hervorheben. Da es praktisch überall Radwege gibt und man nur selten mir Regen rechnen kann, habe ich das Rad zu meinem bevorzugten Fortbewegungsmittel erklärt. An sich gibt es auch ein gut ausgebautes City Bike System mit über 250 Stationen, aber bereits nach einer Woche habe ich daran meine Geduld verloren, da mein Unicampus, die ETSI (Escuela Técnica Superior de Ingeniería) auf einer Insel am anderen Ende der Stadt liegt. Über Wallapop, das spanische Willhaben, war es auch sehr einfach ein eigenes Fahrrad zu finden. Die ETSI ist ein Teil der Universidad de Sevilla, aber alle ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten wurden auf die Insel verbannt. Ich absolviere hier mein erstes Mastersemester, wobei wir in meinen Kursen meistens kleine Gruppe sind. Das liegt zum einen daran, dass viele Studierende nach dem 4-jährigen Bachelor zu arbeiten beginnen, zum anderen gibt es auch Zugangsbeschränkungen. Wird ein Kurs nicht geschafft, muss er im Jahr darauf erneut wiederholt werden, wonach die Atmosphäre insgesamt etwas schulischer erscheint, als ich es von der TU Wien gewohnt bin. In fast jeder LVA muss ein Gruppenprojekt absolviert werden, diese werden mich in den folgenden Quarantänewochen beschäftigen und geben mir die Möglichkeiten mit meinen spanischen KollegInnen trotz physical distancing regelmäßig in Kontakt zu bleiben.
April 2020
Nach acht langen Wochen praktisch vollkommener Ausgangsperre kehrt wieder ein bisschen Leben auf Sevillas Straßen zurück. Seit dem ersten Mai Wochenende ist es zwischen 6 und 10 Uhr und 20 bis 23 Uhr erlaubt das Haus zu verlassen, um zu spazieren und Sport zu betreiben. Spazieren ist allerdings nur innerhalb eines Ein-Kilometer-Radius der Heimatadresse erlaubt, was zur Folge hat, dass jeder das Haus präventiv nur in Sportkleidung verlässt. Die Stunden zwischen 10 und 20 Uhr sind für die Ausgangsslots der Bevölkerung über 70 und Familien mit kleineren Kindern reserviert.
Trotz der neugewonnenen Freiheiten trauern die Sevillanos noch immer der abgesagten Feria nach. Die Feria ist das Großereignis der Hauptstadt Andalusiens, bei dem sich die Stadt eine Woche lang in eine Fiesta verwandelt. Gefeiert wird in casetas, die etwas an kleine Bierzelte erinnern, getanzt wird Flamenco und Sevillana und wem das nicht genug ist, der kann die Calle de Infernio, einen riesigen Vergnügungspark, besuchen. Damit die Studierenden sich voll und ganz auf die Feria konzentrieren können, gilt die Woche auch als vorlesungsfreie Zeit. Tatsächlich ist ein Jahr ohne Feria so unverstellbar, dass sie im September nachgeholt werden soll.
Aber nicht nur die Feria soll dieses Jahr im September stattfinden, es ist auch im Gespräch die Semana Santa – Karwoche – im Herbst nachzuholen. Anscheinend stört es niemand, dass Ostern nicht nochmal stattfinden wird, die täglichen Prozessionen zur Kathedrale im Zentrum der Altstadt müssen ausgetragen werden. Start- und Endpunkt der Prozessionen sind das jeweilige Heimatviertel, wonach der Marsch mitunter Stunden dauern kann. Der wirkliche Stellenwert dieser Tradition wurde mir bewusst, als ich bei einem abendlichen Spaziergang im Februar zum ersten Mal auf eine Gruppe von etwa 20 Männer stieß, die einen gewaltigen Holzkasten über ihren Köpfen durch die Gassen trugen. Im ersten Augenblick ein etwas einschüchternder Anblick, aber weil das Tragen von riesigen Heiligen Statuen auch trainiert werden muss, habe ich mich schnell daran gewöhnt, diesen Proben mehrmals pro Woche zu begegnen. Um die zwei wichtigsten Termine des Jahres nicht zu verpassen, wäre daher eine Rückkehr im September schon sehr verlockend, falls sich die Situation bis dahin wieder entspannt hat!
Juni 2020
Anfang Juni ist Sevilla endlich in Phase 3 aufgestiegen! Bis lang war es nur möglich sich in der Heimatprovinz fortzubewegen, für mich bedeutete das Stopp an Sevillas Stadtgrenzen. Nach fast drei Monaten in einer, zugegebenermaßen sehr schönen, Stadt war die Freude groß noch etwas vom Umland sehen zu können. Die Auswahl für den ersten post-cuarentena Ausflug fiel auf Córdoba. Je nachdem wen man fragt, ist die Stadt berühmt für Österreichs Fußballsieg gegen Deutschland, oder die Moschee, in deren Mitte eine Kathedrale gebaut wurde. Erwartet wurden wir schließlich von einer fast menschenleeren Altstadt, sämtliche auf Touristen ausgelegte Geschäfte, Cafés, und Restaurants hatten geschlossen und die Besucherinnen der Moschee/Kathedrale konnte man an einer Hand abzählen. Eigentlich sollte man diese Ruhe genießen, aber in einer Stadt ohne Menschen fehlte dann doch etwas. Erst abseits von den klassischen Touristenpfaden waren zumindest Spanier zu finden. Wenn man sie ab der Mittagszeit in ihren Stammlokalen sitzen sieht, um eine kalte Cerveza zu genießen, bevor sie um fünf Uhr ihre Siesta beenden und wieder in ihre Geschäfte zurückkehren, hat man auch hier das Gefühl, das die Welt langsam wieder in Ordnung ist.
Aber Juni bedeutete auch Anfang der Prüfungszeit. Da Präsenzprüfungen noch unvorstellbar waren, wurden alle, teilweise etwas sporadisch, online durchgeführt. Bis lang gab es noch keine Infos, ob die Präsenzlehre im nächsten Semester wieder aufgenommen wird, aber da die Interaktion zwischen den Studierenden und Lehrenden hier viel persönlicher ist, wird von beiden Seiten auf eine Öffnung der Universitätsgebäude im nächsten Semester gehofft.
Juli 2020
Im Februar fuhr ich mit dem Zug nach Sevilla, ich brauchte fast zwei ganze Tage und musste sechs Mal umsteigen. Mit dem Flugzeug zurückreisen sollte demnach unglaublich unkompliziert sein, dachte ich. Ich habe mich getäuscht. Nicht nur ich, sondern auch meine Mitbewohnerin, die zurück nach Italien wollte, steckte gewissermaßen in Sevilla fest.
Da Österreich die Grenzöffnung nach Spanien relativ spät und spontan verkündete, war die Auswahl an Flügen sehr bescheiden. Nachdem der einzige Direktflug nach Wien fünf Tage vorher gecancelt wurde, entschied ich über München einzureisen. Das hatte auch den Vorteil, dass ich von Málaga startete und somit noch ans Meer fahren konnte. Auch die Verbindungen der öffentlichen Verkehrsmittel innerhalb Spaniens war noch sehr eingeschränkt, was zur Folge hatte, dass ich mich in einem überfüllten Bus, der vier Stunden lang gefühlt jedes Kaff zwischen Sevilla und Málaga abfuhr, wiederfand. In solchen Situationen wunderte ich mich jedes Mal, dass das Virus den Süden Spaniens nicht stärker getroffen hatte. Tatsächlich entspricht die Fläche, Einwohnerzahl und Zahl der positiv getesteten Covid-19 Fälle von Andalusien ziemlich genau dem jeweiligen Wert von Österreich.
Auch als mich in München Regen, 15°C und Menschen ohne Masken begrüßten, war ich noch nicht ganz zurück aus Spanien. Es war sicher nicht das Erasmussemester, dass ich erwartet hatte, aber es war trotzdem eine schöne und besondere Zeit und ich bereue es nicht den etwas strikteren Lockdown in Spanien erlebt zu haben. Da keine Touristen in der Stadt waren, durfte die Hauptstadt Andalusiens von einer sehr ursprünglichen Seite kennenlernen, die ich nicht missen will.