Oulu, Sommersemester 2018/19
Melanie Riess
Februar 2019
Tervetuloa!
Hieß es erstmals vor gut zwei Monaten, als ich in Helsinki landete um ein paar Tage später weitere 550 km in den Norden, nach Oulu, zu reisen.
In Oulu, der nördlichsten Großstadt der europäischen Union, angekommen holen mich meine „Kummis“ Natalia und Paula vom Bahnhof ab. Dem war ich sehr dankbar, es hatte immerhin -20 Grad, war stockdunkel und ich hatte 2 Koffer dabei.
Kummi bedeutet Patin oder auch Pate auf Deutsch. In der finnischen Sprache gibt es kein grammatikalisches Geschlecht und manch einer meint, dass diese fehlende Unterscheidung zur Gleichbehandlung, -stellung und -berechtigung beiträgt. Ein Kummi studiert das gleiche Fach wie der Austauschstudent und wird von der zugehörigen Fakultät angestellt, um dem Austauschstudenten die Ankunft, die Eingewöhnung und allgemein das universitäre Leben ein wenig zu erleichtern. Abhängig davon, wie viele internationale Studenten im jeweiligen Fachbereich zeitgleich kommen, handelt es sich um Gruppen von 1 bis 15 internationalen Studenten pro Kummi. Wir bleiben in Kontakt, reden über Vorlesungen, gehen miteinander Essen, Karaoke, in die Sauna und auf Partys.
Der Uni-Start gestaltete sich unproblematisch. Im Rahmen einer Orientierungsveranstaltung wurde den internationalen Studenten mehrmals übersichtlich Punkt für Punkt erklärt, was in den darauffolgenden Tagen an welcher Stelle zu erledigen sei (Amtsbesuche, Registrierungen, Meldungen, Bestätigungen bei Koordinatoren vorzeigen, usw.).
Einen meiner ursprünglich ausgesuchten Kurse strich ich problemlos aus dem Learning Agreement, nachdem ich herausfand, dass die Vorlesungs-Folien ausschließlich auf Finnisch zur Verfügung stehen. Sowohl meine hiesige Koordinatorin Johanna, sowie Studiendekan Prof. Gärtner der TU Wien stimmten dem sofort zu. Johanna schlug mir auch bald ein paar weitere Lehrveranstaltungen vor, die für mich interessant erschienen. So erweiterte ich gleich in der ersten Woche meinen Lehrplan um eine Green-Chemistry Blockveranstaltung, sowie um zwei Finish-Survival Kurse.
Mit etwa 150 weiteren internationalen Studenten saß ich in der Orientierungslehrveranstaltung. Im Laufe eines ganzen Uni-Jahres teilen sich etwa 1 000 internationale Studenten auf die beiden Campusse der Universität von Oulu auf. Bald werden Freundschaften zwischen Studenten aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern, aber auch China, Südkorea, Australien, Pakistan, Iran, Peru, Mexiko und USA geschlossen. Die ersten Wochen sind von Partys, Saunabesuchen, Spieleabenden und internationalen Kochabenden geprägt. In den zahlreichen Flohmärkten kaufen wir uns preisgünstig Eishockey- (5 bis 10 €) sowie Langlaufausrüstungen (20 bis 50 €) An Wochenenden mieten wir Autos und besuchen Nationalparks, wo gemütliche Cottages und Cabins auf uns warten und wir unsere Tage mit Langlaufen und Schneeschuhwanderungen verbringen.
Nach zwei bis drei Wochen lerne ich auch erstmals ein paar der doch oft zurückhaltenden Finnen besser kennen. Sie offenbaren sich als äußerst hilfsbereit und zeigen sich hocherfreut, dass man sich als Mitteleuropäer für den hohen Norden begeistert. Sie wachsen meine Skier, übersetzen mir finnische Musik (welche sich oft um Alkoholkonsum dreht), erklären mir lokale Politik, servieren mir heimgemachte finnische Speisen und Getränke und laden mich zu sich nachhause in die private Sauna ein (welche im Winter tatsächlich täglich verwendet wird).
Der Jänner ist kalt und dunkel. Meist hat es um die -20 Grad, zwei Wochen durchgehend allerdings auch -30 Grad. Gottseidank ist es kaum windig! Trotzdem lerne ich die regelmäßigen Saunabesuche immer und immer mehr zu schätzen.
Eine warme Jacke, dicke Haube, sowie hochqualitative Handschuhe und Schuhe sind ein absolutes Muss. Meist bin ich draußen auch mit Skihose anzutreffen. Man gewöhnt sich jedoch überraschend schnell an die Kälte – nach kurzer Zeit gehen wir auch bei -25 Grad problemlos 3 Stunden lang langlaufen. Kälte lässt die Umgebung zu ungeahnt schönen Eisfiguren erstarren und bald bin ich traurig, dass es bloße -10 Grad hat und das Eis beginnt von den Bäumen zu fallen.
Die anfänglich allgegenwärtige Dunkelheit hellt unheimlich schnell auf. Von Tag zu Tag hat man 7 Minuten mehr Tageslicht. In bloß 2 Wochen macht das eine Differenz von gut 1,5 Stunden!
März 2019
Inzwischen ist es Mitte März und da das finnische „Sommersemester“ von Anfang Jänner bis Ende Mai geht, habe ich bereits mehr als die Hälfte meines Auslandsaufenthaltes hinter mir. Zusätzlich ist das Sommersemester in Term 1 und Term 2 aufgeteilt. Zurzeit läuft also bereits Term 2.
Vor meinem Aufbruch in den hohen Norden hatte ich Sorgen, dass das finnische Bildungssystem derart besser als das österreichische sei, dass mir meine Kurse Probleme bereiten würden. Gottseidank waren diese Sorgen unbegründet, die Kurse sind mit ein wenig Eifer auch mit sehr guten Noten schaffbar.
Nichtsdestotrotz gestalten sich die Kurse anders, als ich es von Österreich gewohnt war. So muss ich hier bei meinen Kursen neben den Vorlesungen stets Woche für Woche Hausübungen machen, zusätzlich größere Arbeiten schreiben und Projektergebnisse präsentieren. Der finnische Student ist gezwungen, sich das ganze Semester lang mit dem Lernstoff zu beschäftigen, bevor er sich am Ende des Semesters der Prüfung stellt. Entsprechend erweisen sich die Kurse im Laufe des Semesters als zeit- und arbeitsintensiv, für die Prüfungen muss dann allerdings nicht übermäßig viel gebüffelt werden.
Die finnische Gesellschaft besitzt eine äußerst flache Hierarchie. Professoren werden mit Vornamen angesprochen und sind stets hilfsbereit und zugänglich.
95 % der Austauschstudenten nahmen die Chance war, eine Unterkunft von „PSOAS“ vermittelt zu bekommen. Diese Studentenwohnheime gewinnen zwar keine Preise für Schönheit, Gemütlichkeit und Komfort, befinden sich aber sehr nahe an den jeweiligen Campussen, sämtliche Erasmus-Studenten wohnen an einem Fleck und die Bewerbung für eine PSOAS-Unterkunft erfordert nur ein paar Mausklicke. Ein PSOAS Zimmer kostet 300 Euro monatlich. Ich habe mir einen Platz in einer privaten WG gesucht, wohne ebenfalls sehr nahe an der Uni und zahle 280 Euro monatlich. Die Wohnungspreise in Oulu sind im Vergleich zu Wien überraschend günstig, üblicherweise zahlt man für WG-Zimmer zwischen 200 und 300 Euro.
Die Lebenserhaltungskosten sind hingegen wie erwartet eine Spur höher als in Österreich. Bei Supermarktbesuchen gebe ich wohl rund 20 % mehr aus als in Wien.
Auf der Uni gibt es jedoch fantastisches Mensa-Essen zu studentenfreundlichen Preisen. Einen großen Hauptspeisenteller und einen kleineren Salatteller darf man voll beladen. Zusätzlich stehen Gebäck, Aufstriche und Getränke zur Verfügung. Für all das bezahlt man bloße 2,60 €. Mit einem großen Gemüse-Aufgebot und ausschließlich Vollkorn-Reis und Vollkorn-Nudeln gestaltet sich das Essen auch stets recht gesund. Auch vegane, vegetarische, laktose- und glutenfreie Gerichte werden täglich angeboten.
Die klassisch finnische Kulinarik ist hingegen eher deftiger und dreht sich meist um Aufläufe basierend auf Kartoffel und Fleisch oder Fisch. Auch nahrhafte Suppen mit Fisch- oder Fleischeinlagen sind typisch. Süßspeisen sind sehr beliebt. Neben nachmittäglichem Kuchen lieben die Finnen auch (Minz-)Schokolade sowie Lakritze. Das dunkle Süßholzextrakt gibt es in süßer sowie salziger Ausführung und ist überall zu finden. Zu meinem Leidwesen ist es auch oft im Inneren von äußerlich scheinbar unschuldigen Süßigkeiten versteckt. Das einzige Lakritze-Produkt, das ich bisher für mich entdecken konnte ist der hochprozentige „Salmiakki“, ein Lakritze-Likör auf Vodka- oder Korn-Basis.
Die Temperaturen waren im Februar bereits milder (zeitweise bis zu + 3 Grad Celsius!), Anfang März lagen sie wieder bei zwischen -5 und -20 Grad Celsius. Oktober und März sind jene Monate, in denen die höchste Wahrscheinlichkeit auf sichtbare Nordlichter besteht. Tatsächlich sind sie in den letzten Wochen mehrmals über den Nachthimmel Oulus getanzt. Es waren sogar „große“ Lichter – das heißt nicht bloß grüne, sondern die selteneren mehrfarbigen Aurora Borealis – zu sehen. Leider ist es zurzeit an den meisten Abenden jedoch bewölkt.