Università degli Studi dell'Aquila, L'Aquila, Italien, Sommersemester 2016/17
Dmitri-Alexander Jilin
1. Blogeintrag: Ankunft in L'Aquila (März 2017)
Die Stadt L'Aquila, Hauptstadt der Region Abruzzen, ist spätestens 2009 zu trauriger Berühmtheit gelangt, als die Stadt von einem Erdbeben der Stärke 6,3 nach Moment-Magnitudenskala schwer getroffen wurde. Insbesondere die quirlige und schöne Altstadt hat darunter sehr gelitten und befindet sich nach wie vor im Wiederaufbau. Reist man heute mit dem Bus aus Rom kommend nach L'Aquila an, so kommt man nach der Fahrt durch die schönen Regionen Latium und Abruzzen entweder am Hotel Amiternum oder am Terminal Collemagio an. Das hängt von der Wahl des Busanbieters ab. Die privaten Busse fahren bis zum Hotel Amiternum, benannt nach der antiken Vorgängerstadt von L'Aquila. Die staatliche Busgesellschaft ARPA (Autolinee regionali pubbliche abruzzesi) fährt bis zum Terminal Collemagio, benannt nach der in der Nähe liegenden Kirche Santa Maria di Collemaggio. Sie ist eines der Wahrzeichen der Stadt.
Am Terminal wurde ich bei meiner Anreise sehr herzlich von zwei Studenten des ESN-Netzwerks in L'Aquila in Empfang genommen. Illaria und Giulio kamen gleich mit dem Auto um mich abzuholen und mir mit dem schweren Gepäck zu helfen. Zusätzlich meldete sich Giulio bereits Tage vor meiner Ankunft bei mir, um zu erfragen ob ich Hilfe bei der Organisation der Anreise und der ersten Tage benötige. Dem war auch so, denn ich brauchte für die ersten 12 Tage eine provisorische Unterkunft, bis mein Studentenzimmer verfügbar war. Die Lösung war ein wunderschönes und dennoch preiswertes B&B im historischen Zentrum von L'Aquila. Gleich nachdem ich in Empfang genommen wurde, zeigten mir Giulio und Illaria die Villa Communale, eine Parkanlage in der just an dem Tag Karneval gefeiert wurde und in dem sich das Wahrzeichen der Stadt befindet: die "Fontana delle 99 Cannelle", die 99 Brunnen. Die Zahl 99 ist mit der Geschichte L'Aquilas stark verbunden. Laut der Gründungslegende schlossen sich im 13. Jahrhundert 99 Dörfer zur Stadt L'Aquila zusammen um sich der Willkür ihrer Feudalherren zu erwehren.
Der Name der Stadt selbst spiegelt sich im Stadtwappen wieder - L'Aquila bedeutet aus dem Italienischen übersetzt "Der Adler". Der Ursprung des Namens ist umstritten. Manche meinen er spiele auf das Wappen Kaiser Friedrichs II. an, der maßgeblich bei der Gründung der Stadt beteiligt war. Andere hingegen behaupten der Name beziehe sich auf das hier vorkommende, hochqualitative Wasser und einen Ort aus dem Mittelalter, der "Kleines Wasser", sprich "Aquila" hieß. Heute erscheint die Stadt zweigeteilt, die Peripherie und die Wohngegend am Stadtkern wurden vergleichsweise schnell wieder instandgesetzt. Der berühmte historische Stadtkern, der 6-größte Italiens, kann hingegen nur langsam wieder aufgebaut werden. Grund dafür sind die besonderen Bedürfnisse der zum Teil bis zu 700 Jahre alten Gebäude, die engen Straßen der Altstadt und notwendige juristische Aufarbeitungen der Erdbebenkatastrophe von 2009. So erscheint der Stadtkern auf dem ersten Blick als Mischung aus Baustelle, Geisterstadt und typischer italienischer Altstadt - aber frisch erbaut.
In seinem nordöstlichen Teil, gleich bei der berühmten Fontana Luminosa hat sich gleich nach dem Erdbeben von 2009 ein Lokal allen Widrigkeiten zum Trotz behauptet und den historischen Stadtkern nicht verlassen. Diese Enoteca (Weinlokal) heißt "Ju Boss". Der Name ist im aquilanischen Dialekt gehalten, indem der männliche Artikel "il" durch "ju" ersetzt wird. Interessanterweise sagen die meisten Studenten zu diesem Lokal "Il Boss". Die auf den ersten Blick wie ausgestorben wirkende Altstadt erwacht gegen Nachmittag/Abend zum Leben. Eine Besonderheit L'Aquilas ist, dass der Donnerstag der am stärksten frequentierte Tag zum Ausgehen ist. Das kommt daher, das viele Studenten aus dem Umland von L'Aquila bzw. aus der gesamten Region Abruzzen kommen. Am Freitag fahren sie für gewöhnlich nach Hause, um dort das Wochenende zu verbringen. So wird der Donnerstag zum großen Fortgehtag des Studenten. Da kann es schon vorkommen das "Ju Boss" so voll ist, dass man keinen Fuß mehr rein bekommt. Der Besitzer selbst beschreibt seine Weine auf eine derart poetische Art und Weise, dass selbst wenn man wenig Italienisch versteht, man ihm die Passion für den vergorenen Traubensaft sehr gut anmerkt.
In der ersten Märzwoche haben die Freiwilligen des ESN-Netzwerks einen Willkommenstag für die Erasmusstudenten organisiert. Typisch italienisch, reich garniert mit Spumante, Bibbite (Erfrischungsgetränken), Panini, Tramezzini sowie Knabbereien und Köstlichkeiten aus der Region. Es wurde das Willkommensprogramm und das "Evento Nazionale" präsentiert - eine zweitägige Beachparty, die von allen ESN-Organisationen in Italien organisiert wird - und kräftig für die Teilnahme daran geworben. Das Willkommensprogramm enthielt eine Party im "Get Lucky", einem Studentenlokal nördlich vom Stadtzentrum, wo es bei der Swing Party entspannt und herzlich südländisch zuging. Am nächsten Tag gab es ein Zusammentreffen im 100 Montaditos, einem neuen, spanischen Lokal im Süden des Stadtzentrums. Dabei hatten die Erasmusstudenten die Gelegenheit sich gegenseitig in einer entspannten Atmosphäre kennenzulernen. Das ganze verlagerte sich dann "piano piano" (ital. für "nach und nach") in die Gegend um Ju Boss, wo bis weit über Mitternacht in den Lokalen und davor gefeiert wurde. Den vorläufigen Abschluss der Willkommenswoche bildete ein Picknick an der trutzigen spanischen Festung sowie ein BBQ, das aber aufgrund von Regen um eine Woche verschoben wurde. Das BBQ fand in einem alternativen Refugium statt, das "Casematte" heißt. Ich dachte zuerst an ein mittelalterliches Festungswerk und war daher recht erstaunt, dass es sich um ein paar Hütten auf dem Gelände der früheren Psychiatrie in L'Aquila handelt. Dadurch, dass sich die meisten Studenten schon gut kannten herrschte eine sehr herzliche Atmosphäre, die durch die aquilanischen Grillköstlichkeiten, Salsiccia und Arrosticini, gehoben wurde. Wie man mir erklärt hat, ist das Grillen in L'Aquila sowie in den Abruzzen generell eine ernste Angelegenheit. Das Zubereiten der köstlichen Arrosticini (Fleischspieße) sei fast eine eigene Religion. Bemerkenswert ist auch die kleine aber feine Street-Art-Szene in L'Aquila, die durch geschmackvolle und einfallsreiche Graffitis glänzt. Wo, wenn nicht in Italien, findet man auf einem Studentenfest ein Graffito das ein Gemälde von Caravaggio neuinterpretiert.
2. Blogeintrag: Die Monumente L'Aquilas - Teil 1 (April 2017)
Da ich am 30. März für die ERASMUS+ Studenten eine englischsprachige Stadtführung ausgerichtet habe (bin das aus Wien gewöhnt, wo ich ständig Führungen gebe), möchte ich diese im Blog für interessierte Besucher L'Aquilas revuepassieren lassen.
Möchte man die Stadt und ihre Monumente erwandern, so bietet sich das bereits im ersten Blogeintrag erwähne Busterminal Collemagio als Ausgangspunkt an (1). Keinesfalls weil das Terminal so sehenswert ist, sondern wegen der Basilika (2) von dem es seinen Namen bezieht. Diese thront etwas oberhalb des Terminals am Ende einer großen Wiese, die als "Piazzale Collemagio" (1 AQ) bezeichnet wird. Die Basilika, deren voller Name "Santa Maria del Collemagio" ist, geht zurück auf die Gründungsepoche der Stadt. L'Aquila ist eine der wenigen rein mittelalterlichen Stadtgründungen Italiens und wurde um 1240 erstmals urkundlich erwähnt. Die Basilika entstand gut 40 Jahre später. Laut der Gründungslegende hatte der spätere Papst Coelestin V. an der Stelle der heutigen Basilika eine Marienerscheinung. Das prägte ihn so sehr, dass er beschloss, seine Papstkrönung in der Basilika von Collemagio abhalten zu lassen, ein Privileg das sonst der Petersbasilika in Rom zukam, und er ließ das erste "Jubiläum" in der katholischen Kirchengeschichte in der Basilika von Collemagio begehen. Diese Tradition des Sündenablasses durch Pilgerfahrt zum Jubiläum gibt es noch heute - erst letztes Jahr hat Rom auf Wunsch des aktuellen Papstes ein außerordentliches "Heiliges Jahr"-sprich "Jubiläum" begangen. Nach der Abdankung und dem Tod Coelestins V. wurde die Basilika auch schnell zum Walfahrtsort zum in nur 10 Jahren heiliggesprochenen Papst. Seine sterblichen Überreste ruhten bis 2009 in der Basilika und wurden nach dem Beben, das zwar sein Grabmal, nicht aber den als heilig verehrten Körper zerstörte, in eine andere Kirche verbracht. Die Basilika ist ein Meisterwerk der aquilanischen Spätromanik am Übergang zur Frühgotik. Sie besticht durch ein Schmuckkastendesign mit der für sie charakteristischen Abfolge von weißen und rosa Steinen in der Hauptfassade. Typisch für eine aquilanische Kirche besitzt sie drei Portale mit je drei korrespondierenden Rosettenfenstern. Diese Basilika ist geradezu eine Ikone der Stadt - man findet sie u.a. auf den Fahrscheinen der lokalen Buslinien abgebildet. Geht man nun von Collemagio aus durch die Porta Bassano (3), einem der 19 Stadttore in der 5,5 km langen Stadtmauer von L'Aquila, so bekommt man sehr schnell ein Gefühl dafür, wie die Stadt strategisch klug auf einem Hügel angelegt wurde.
Nach einem anstrengenden, aber kunsthistorisch sehr reizvollen Aufstieg, gelangt man zur Piazza Duomo (4) - dem Hauptplatz L'Aquilas und einer der größten Piazze überhaupt in Italien. Mit 140x70m bildet sie mit ihren beiden Kirchen, dem Dom S.Massimo und S.Maria dell Suffragio (Anime Sante im Volksmund) einen feierlichen Rahmen für Märkte und Feste. Blickt man zur Fassade von S.Maria dell Suffragio hinauf sieht man die Zahl 1713 eingraviert. Das verweist auf das schlimmste Erdbeben das die Stadt jemals in ihrer Geschichte traf. Im Jahr 1703, 10 Jahre vor Baubeginn der Kirche, wurde L'Aquila von einer Erdbebenserie getroffen. Das erste war am 14. Jänner, in der Gegend zwischen Montereale und Amatrice, mit der Stärke 6,8 auf der Moment Magnitudenskala. Dieses Beben beschädigte einige Kirchen und Häuser, verursachte aber trotz seiner Stärke keine Todesopfer in L'Aquila. Ein weiteres Beben der Stärke folgte am 16. Jänner, mit der Stärke 6,2 und beschädigte weiter etliche Gebäude in der Stadt. Die eigentliche Katastrophe kataklysmischen Ausmaßes traf die Hauptstadt der Abruzzen am 2. Februar. Das Epizentrum lag direkt nördlich von L'Aquila und schlug mit einer Stärke von 6,6 zu. Das Beben vernichtete die gesamte Stadt und tötete mindestens 2500 ihrer Einwohner - geschätzt ein Drittel der Bevölkerung. Die hohe Opferzahl erklärt sich auch aus dem tragischen Umstand, dass an diesem 2. Februar das Fest Mariä Lichtmess begangen wurde, und sich viele Einwohner in Kirchen einfanden. Eben diese brachen dann beim Beben in sich zusammen. Allein in der Kirche San Domenico fanden 800 Gläubige den Tod. Zeitzeugen geben zu Protokoll das "La città dell'Aquila fu," - "Die Stadt L'Aquila ist nicht mehr" - umso bemerkenswerter ist der Wille der Überlebenden die Stadt nicht aufzugeben und stattdessen alles wieder aufzubauen.
Eine Geisteshaltung welche auch die heutigen Aquilanen auszeichnet. Die Verwüstung der Stadt 1703 wird auf der 12-teiligen Mercalliskala mit 10 (vernichtend) angegeben. Somit ist jedes Gebäude in L'Aquila, selbst das älteste in eine Phase vor 1703, und eine danach zu unterscheiden. Meist mussten gerade die großen Kirchen wie der Dom S.Massimo komplett neu errichtet werden, so dass er sich heute trotz seines Ursprungs aus dem 13. Jhdt. als neoklassizistischer Bau präsentiert. Beide Kirchen wurden beim letzten großen Beben 2009 schwer getroffen. Über S.Maria dell Suffragio stürzte ihre Kuppel ein und S.Massimo verlor sein gesamtes Dach, das in das Kircheninnere stürzte. Die jüngsten Monumente auf der Piazza Duomo sind die beiden Zwillingsbrunnen, geschaffen 1927 vom Bildhauer Nicola D'Antino. Sie stehen am Übergang von Späthistorismus zur Kunst des Faschismus. D'Antinos Hauptwerk in L'Aquila, die Fontana Luminosa begegnet uns etwas später. Folgt man nun einer der kleinen Straßen von der Pza. Duomo Richtung Süden, so gelangt man zur Kirche S.Agostino - sie ist auch ein Kind der Verwüstung von 1703 und wurde komplett in den Formen des Barock errichtet. Ihr Architekt, Giovanni Battista Contini war einer der Schüler des berühmten Gian Lorenzo Bernini, des Genie des römischen Barocks. Gleich neben der Kirche steht die Lokale Präfektur, die 2009 zum Symbol für die erneute Zerstörung der Stadt werden sollte. Die Bilder vom in sich zusammengebrochenen "Palazzo del Governo" (5) gingen damals um die Welt.
Folgt man der Straße nun nach Norden, zurück zur Pza.Duomo sieht man die imposante, frühklassizistische Fassade des Domes S.Massimo aus nächster Nähe. Passiert man nun die berühmte und erst vor kurzem an die Piazza zurückgekehrte "Gelateria Duomo" und biegt an dieser nach links, so kommt man nach ein paar Metern zur Kirche "San San Giuseppe Artigiano" (6) - sie ist die einzige Kirche in L'Aquila die wieder für Besucher offensteht (von angeblichen 99!). Ihre Fassade wurde nie vollendet. Ein Schicksal das einige Kirchen in L'Aquila und ganz Italien teilen - meist ging schlichtweg das Geld aus. Die Basilika ist im Inneren eine wahre Schatztruhe der Kunst. Man sieht in ihr fast 700 Jahre Kunstgeschichte versammelt. Die ältesten Relikte sind Fresken, welche bei den wiederaufbauarbeiten 2012 zum Vorschein kamen. Sie werden der Schule von Giotto di Bondone zugerechnet - einem der Wegbereiter der italienischen Renaissance. (Und ja, dieser Giotto hat auch was mit der Nascherei zu tun die man bei uns im Supermarkt kriegt. Schaut mal genau auf die Packung, da seht ihr einen Glockenturm - "Campanile" abgebildet. Das ist der Glockenturm von S.Maria del Fiore, das Domes von Florenz. Giotto war der Architekt - so ist die Süßigkeit nach ihm benannt, nicht umgekehrt wie manche meinen...). Übrigens soll die Kirche von den Bewohnern von Amiternum, der antiken Vorgängersiedlung L'Aquilas um 1250 errichtet worden sein. Ein weiteres, bemerkenswertes Monument ist das Mausoleum für Pietro Lalle Camponeschi, einen bedeutenden Adeligen aus L'Aquila. Es wurde 1432 in den Formen der Spätgotik von Gualtiero de Alemania geschaffen. Das Barock ist durch die Deckenfresken und die Wandverzierungen präsent.
Auch die moderne Kunst hat in die Kirche nach 2009 Einzug gehalten. Der junge italienische Maler Giovanni Gasparo (http://www.giovannigasparro.com, www.facebook.com/Giovanni-Gasparro-53946968298, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster,
http://www.giovannigasparro.com/sp.php?p=143, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster) fertigte für die Kirche 18 Gemälde an, welche die wichtigsten Heiligen der Stadtgeschichte zeigen. Bemerkenswert ist dabei, dass er auf seinen Gemälden die verschiedenen Bewegungsphasen der Hände darstellt. Besonders berührend ist die Darstellung des Stadtheiligen S.Massimo. Die Gemälde sind von starker Ausdruckskraft, passen sich jedoch gleichzeitig sehr gut in den historischen Rahmen der Kirche ein, ohne zu verstören. Im Großen und Ganzen ist es ein gelungenes Zusammenspiel von Historie und Moderne.Durch eine Treppe seitlich des Camponeschi Mausoleums gelangt man zum Oratorium des San Giuseppe dei Minimi. In diesem barocken Rundbau befinden sich heute die als Reliquie verehrten sterblichen Überreste von Coelestin V. Durch das rückwärtige Portal des Oratoriums kann man den Kirchenkomplex auf der Rückseite verlassen und man findet sich an der Flanke des Domes S.Massimo wieder. Folgt man dieser und biegt nach links, kommt man zu seiner verdienten Pause und einem köstlichen Gelato bei der Gelateria Duomo (7). Diese ist italienweit für die hohe Qualität ihrer Produkte berühmt und ausgezeichnet. Als zusätzliches Service stellt sie ihren Gästen auch die Möglichkeit bereit ihre Smartphones wieder aufzuladen, während man sich am Gelato erfreut. Kann ja sein, dass der eine oder andere so viele Fotos geschossen hat, dass der Handyakku fast leer ist.