Wie die Natur Bonbons sortiert

Elliptische Teilchen können sich in unterschiedlichen geometrischen Mustern anordnen – aber welches ist thermodynamisch das stabilste? An der TU Wien wurde die Antwort gefunden.

Bonbons auf blauem Untergrund.

Zwei unterschiedliche Arten, Ellipsen dicht zu packen

Stellen wir uns vor, wir legen ellipsenförmige Bonbons auf einen Tisch. Der Tisch wackelt ein bisschen, die Bonbons stoßen daher aneinander, bewegen sich auf und ab und drehen sich. In welcher Anordnung werden die Bonbons am Ende zu finden sein? Anders gefragt: Welche geometrische Konfiguration ist optimal?

Physikalisch gesehen ist das eine interessante und keineswegs triviale Frage: Es geht um die Selbstorganisation elliptischer Teilchen – ein Phänomen, das nur mit den Gesetzen der Thermodynamik untersucht werden kann. Diese Selbstorganisation zeigt sich etwa, wenn kleine Teilchen (sogenannte Kolloide) auf einer Wasseroberfläche schwimmen und sich ganz von selbst zu bestimmten Strukturen zusammenfügen, sodass spezielle Muster entstehen. Dieser Effekt steht in engem Zusammenhang mit Phänomenen wie Phasenübergängen oder Kristallbildung.

Für dicht gepackte Ellipsen lässt sich leicht zeigen: Es gibt zwei thermodynamisch günstige Ausrichtungen, eine parallele und eine diagonale. Welche davon aber im thermodynamischen Sinn günstiger ist, war bisher nicht klar. Mit Computersimulationen konnte ein Team der TU Wien mit Unterstützung aus der Ukraine nun zeigen: Thermodynamisch gewinnt die parallele. Die Ergebnisse wurden als Rapid Communication im Journal of Chemical Physics publiziert.

Ein Problem, das auf Johannes Kepler zurückgeht

„Die Fragestellung ist eng verwandt mit einem Problem, an dem in der Mathematik schon seit Jahrhunderten getüftelt wird“, sagt Prof. Gerhard Kahl vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. „Schon Johannes Kepler warf die Frage auf: Wie kann man Kanonenkugeln anordnen, sodass sie möglichst wenig Platz brauchen? Und wie lässt sich beweisen, dass eine bestimmte Konfiguration tatsächlich die dichteste ist?“

Das Problem lässt sich auf Räume mit unterschiedlichen Anzahlen von Dimensionen verallgemeinern. Susanne Wagner, Dissertantin aus Gerhard Kahls Arbeitsgruppe, beschränkte sich auf zwei Dimensionen, betrachtete dafür aber eine ganz wesentliche Erweiterung des Problems: Statt runder Objekte untersuchte sie elliptische. „In der Physik sagt man in diesem Fall: eine Symmetrie wurde gebrochen. Ein Kreis sieht von allen Seiten gleich aus, bei elliptischen Teilchen ist das nicht so“, erklärt Susanne Wagner. „Die Folgen dieses Symmetriebruchs sind drastisch: Ellipsen zeigen ein fundamental anderes Verhalten wie kreisförmige Teilchen.“

Selbstorganisations-Phänomene bei Kreisen und Kugeln wurden bereits intensiv erforscht. Diese Untersuchungen auf Ellipsen auszuweiten ist ein wichtiger Schritt, denn viele kolloidale Teilchen in der Natur und Technik sind näherungsweise elliptisch.

„Bei der Untersuchung der Selbstorganisation von Ellipsen, stellen wir ähnlich wie Kepler die Frage, wie die Teilchen am dichtesten gepackt werden können. Denn die Natur bevorzugt diese dichteste Packung im Falle, dass den Teilchen wenig Platz zur Verfügung steht. Anders als Kanonenkugeln sind die auf einer Wasseroberfläche schwimmenden Teilchen aber ständig in Bewegung. Damit stellt sich über Keplers Problem hinaus die essentielle Frage, welche Anordnung die thermodynamisch stabilste ist“, sagt Susanne Wagner. Wenn Teilchen auf engem Raum zusammengedrängt werden und dann ständig rein zufällig miteinander kollidieren – wie werden sie sich dann letztendlich geometrisch ausrichten? Die Thermodynamik sagt, die Teilchen werden sich am Ende im Zustand größter Entropie befinden. Welcher das allerdings ist, lässt sich nicht so einfach sagen.

Zwei ähnlich stabile Anordnungen

Rasch zeigte sich, dass es genau zwei Kandidaten für die thermodynamisch günstigste Ausrichtung gibt: Eine Variante, in der die Ellipsen in parallelen Reihen angeordnet sind und sich im rechten Winkel dazu ausrichten, und eine, in denen die Ellipsen diagonal auf die Reihen-Anordnung gedreht sind. Welche davon unter realistischen Bedingungen tatsächlich günstiger ist, ließ sich nun mit sehr aufwändigen Computersimulationen und in Zusammenarbeit mit Kollegen der ukrainischen Akademie der Wissenschaften (Lviv) beantworten. „Streng genommen müsste man das mit unendlich vielen Teilchen simulieren, und zwar unendlich lange“, erklärt Gerhard Kahl. „Nachdem das unmöglich ist, muss man sich kluge Simulations- und Analysetechniken überlegen – und zeigen, dass sie mit einer gewissen statistischen Genauigkeit zum korrekten Ergebnis führen.“

So zeigte sich, dass die parallele Ausrichtung, was die Entropie betrifft, ein kleines bisschen günstiger ist. Das mag theoretisch für Leute interessant sein, die ihre elliptischen Bonbons möglichst optimal in zwei Dimensionen lagern wollen – aber der wahre Nutzen der Forschung liegt natürlich anderswo: „Die Sache ist Teil eines sehr aktuellen Forschungsthemas: nämlich den Entropie-induzierten Phasenübergängen, die in letzter Zeit sehr intensiv diskutiert werden“, sagt Gerhard Kahl. „Im Gegensatz zu Modellen, in denen Kugeln oder kreisförmige Teilchen vorkommen, spielt bei Ellipsen auch ihre Orientierungsrichtung eine Rolle – und unsere Berechnungen zeigen, wie erstaunlich komplex der Zusammenhang von Geometrie der Teilchen und ihrem Verhalten sein kann“, sagt Susanne Wagner. Diese Forschungsarbeit soll die Beschreibung anderer Systeme ermöglichen, in denen man es ebenfalls mit Teilchen zu tun hat, die nicht perfekt rund sind, sondern eine bestimmte ausgezeichnete Richtung haben.

Rückfragehinweis

Dr. Susanne Wagner
Institut für Theoretische Physik
Technische Universität Wien
susanne.wagner@tuwien.ac.at

Prof. Gerhard Kahl
Institut für Theoretische Physik
Technische Universität Wien
+43 1 58801 13632
gerhard.kahl@tuwien.ac.at

Text: Florian Aigner