In der Stringtheorie könnte ein Umbruch bevorstehen. Im Juni veröffentlichte ein Team von Stringtheoretikern aus Harvard und Caltech eine revolutionär klingende Vermutung: Die Stringtheorie soll mit der Existenz von „Dunkler Energie“ wie sie bisher verstanden wurde grundsätzlich unvereinbar sein – doch nur mit „Dunkler Energie“ kann man heute die beschleunigte Expansion des Universums erklären.
Timm Wrase von der TU Wien erkannte rasch, dass an dieser Vermutung etwas nicht stimmen kann: Es dürfte sonst nämlich auch kein Higgs-Teilchen geben. Seine Berechnungen, die er zusammen mit Theoretikern von der Columbia University in New York und der Universität Heidelberg durchführte, wurden nun in „Physical Review“ publiziert. Die plötzlich entfachte Diskussion über Strings und Dunkle Energie soll nun der Forschung einen neuen Ruck verleihen, hofft Wrase.
Die Theorie für alles?
In die Stringtheorie werden große Hoffnungen gesetzt: Sie soll erklären, wie Gravitation mit Quantenphysik zusammenhängt, und wie die Naturgesetze zu verstehen sind, mit denen man die gesamte physikalische Welt beschreiben kann, von den kleinsten Teilchen bis zur größten Struktur des Kosmos.
Oft wird der Stringtheorie vorgeworfen, bloß mathematisch-abstrakte Ergebnisse zu liefern und zu wenige Vorhersagen zu treffen, die sich im Experiment tatsächlich untersuchen lassen. Nun allerdings diskutiert die Stringtheorie-Community auf der ganzen Welt eine heiße Frage, die mit kosmischen Experimenten eng zusammenhängt: Es geht dabei um nichts Geringeres als die Expansion des Universums. 2011 wurde der Physik-Nobelpreis für die Entdeckung vergeben, dass das Universum nicht nur ständig größer wird, sondern dass sich diese Expansion auch noch ständig beschleunigt.
Dieses Phänomen lässt sich nur erklären, wenn man eine zusätzliche, bisher unbekannte „Dunkle Energie“ annimmt. Diese Idee stammt ursprünglich von Albert Einstein, der sie in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie als „kosmologische Konstante“ zu seinen Gleichungen hinzufügte. Einstein wollte damit eigentlich ein nichtexpandierendes Universum konstruieren. Als Hubble 1929 dann feststellte, dass sich das Universum ausdehnt, bezeichnete Einstein diese Modifikation seiner Gleichungen als „größte Eselei“ seines Lebens. Doch mit der Entdeckung, dass sich die Expansion beschleunigt, wurde die kosmologische Konstante als Dunkle Energie wieder in das gegenwärtige Standardmodell der Kosmologie aufgenommen.
Wie ein Apfel in der Obstschüssel
„Man dachte lange, dass sich eine solche Dunkle Energie gut in das Konzept der Stringtheorie einbauen lässt“, sagt Timm Wrase vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. Die Stringtheorie geht davon aus, dass es zusätzliche, bisher unbekannte Teilchensorten gibt, die sich in Form von Feldern beschreiben lassen.
Diese Felder haben einen Zustand minimaler Energie – ähnlich wie ein Apfel, der in einer Schüssel liegt. Er wird immer ganz unten, am tiefsten Punkt der Schüssel liegen. Überall sonst wäre seine Energie höher, man muss Energie aufwenden, um ihn vom tiefsten Punkt zu entfernen. Das heißt aber nicht, dass der Apfel am tiefsten Punkt gar keine Energie hat: Man kann die Schüssel mit dem Apfel auf den Boden stellen, oder oben auf den Tisch – dort hat der Apfel zwar mehr Energie, kann sich aber trotzdem nicht bewegen, weil er sich in seiner Schüssel immer noch lokal im Zustand minimaler Energie befindet.
„So ähnlich lassen sich in der Stringtheorie auch Felder beschreiben, mit denen sich die dunkle Energie erklären ließe – sie befinden sich in einem lokalen Energie-Minimum, aber die Energie hat trotzdem einen Wert, der größer als null ist“, erklärt Timm Wrase. „So würden diese Felder die sogenannte dunkle Energie liefern, mit der man die beschleunigte Expansion des Universums erklären kann.“
Doch Cumrun Vafa von der Harvard University, einer der renommiertesten Stringtheoretiker der Welt, veröffentlichte am 25. Juni einen Artikel mit großer Sprengkraft: Er stellte darin die Vermutung auf, dass solche „schüsselförmigen“ Felder mit positiver Energie in der Stringtheorie gar nicht möglich sind.
Das Higgs-Feld – ein Widerspruch
Timm Wrase von der TU Wien erkannte rasch die Tragweite dieser Behauptung: „Wenn das stimmt, kann es die beschleunigte Expansion, wie wir sie uns bisher vorgestellt haben, nicht geben“, sagt er. „Es müsste dann ein Feld mit ganz anderen Eigenschaften geben, vergleichbar mit einer leicht abschüssigen Ebene, auf der eine Kugel nach unten rollt und dabei potenzielle Energie verliert.“ Dann würde sich der Betrag der „dunklen Energie“ im Lauf der Zeit ändern und die beschleunigte Expansion des Universums käme möglicherweise eines Tages zum Stillstand. Die Gravitation könnte dann die gesamte Materie wieder zusammenziehen und an einem Punkt versammeln, ähnlich wie zum Zeitpunkt des Urknalls.
Doch Timm Wrase, der sich schon in seiner Doktorarbeit mit ähnlichen Fragen beschäftigt hatte, stellte fest, dass dieser Einwand auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. „Die Vermutung von Cumrun Vafa, die bestimmte Arten von Feldern verbietet, würde nämlich auch Dinge verbieten, von denen wir wissen, dass es sie gibt“, erklärt er.
Wrase konnte zeigen, dass auch das Higgs-Feld Eigenschaften hat, die durch Vafas Vermutung eigentlich verboten sein sollten – und das Higgs-Feld gilt als experimentell gesicherte Tatsache, für seinen Nachweis wurde 2013 der Physik-Nobelpreis vergeben. Wrase stellte seine Ergebnisse auf der Online-Plattform Arxiv zur Verfügung, seither wird in der Stringtheorie-Community heftig darüber diskutiert. Nun wurde die Arbeit geprüft und im Journal „Physical Review“ publiziert.
„Diese Kontroverse ist eine gute Sache für die Stringtheorie“, ist Timm Wrase überzeugt. „Plötzlich haben viele Leute ganz neue Ideen, über die bisher einfach noch niemand nachgedacht hatte.“ Wrase untersucht nun mit seinem Team, welche Felder die Stringtheorie zulässt und an welchen Punkten sie gegen Vafas Vermutung verstoßen. „Vielleicht führt uns das zu spannenden neuen Erkenntnissen über die Natur der dunklen Energie – das wäre ein großer Erfolg“, hofft Wrase.
Die Hypothesen, die dabei entstehen, werden sich (zumindest teilweise) schon bald experimentell überprüfen lassen: Die beschleunigte Expansion des Universums wird in den nächsten Jahren nämlich genauer untersucht als je zuvor.
Originalpublikation: F. Denef, A. Hebecker, T. Wrase; de Sitter swampland conjecture and the Higgs potential, Phys. Rev. D 98, 086004., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
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[1] Bild: ESA/C. Carreau and CERN/J. Ellis, CC BY-SA 3.0
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