Kopf oder Zahl? Wenn wir zwei Münzen in die Luft werfen, hat das Ergebnis des einen Münzwurfs nichts mit dem Ergebnis des anderen zu tun. Münzen sind voneinander unabhängige Objekte. In der Welt der Quantenphysik ist das anders: Quantenteilchen können verschränkt sein, dann lassen sie sich nicht mehr als unabhängige Individuen betrachten, man kann sie nur noch gemeinsam beschreiben.
Seit Jahren schon kann man verschränkte Photonen herstellen – Paare von Lichtteilchen, die sich in völlig unterschiedliche Richtungen bewegen, aber trotzdem zusammengehören. Immer wieder wurden damit spektakuläre Ergebnisse erzielt, etwa im Bereich der Quantenteleportation oder der Quantenkryptographie. Nun entwickelte man an der TU Wien eine neue Methode, verschränkte Atompaare herzustellen – und zwar nicht nur auf zufällige, sondern auf genau definierte Weise. Das gelang mit Hilfe ultrakalter Atomwolken in elektromagnetischen Fallen auf eine Atom-Chip.
Verschränkte Teilchen
„Quantenverschränkung ist eines der wesentlichen Elemente der Quantenphysik“, sagt Prof. Jörg Schmiedmayer vom Vienna Center for Quantum Science (VCQ) am Atominstitut der TU Wien. „Wenn Teilchen miteinander verschränkt sind, dann kann es passieren, dass man zwar alles über das Gesamtsystem weiß, was es überhaupt zu wissen gibt, aber über ein bestimmtes Teilchen trotzdem rein gar nichts aussagen kann. Die Frage nach dem Zustand eines bestimmten Teilchens ergibt keinen Sinn, nur der Gesamtzustand ist festgelegt.“
Es gibt unterschiedliche Methoden, quantenverschränkte Teilchen herzustellen. So kann man etwa mit speziellen Kristallen Paare verschränkter Photonen erzeugen: Ein Photon mit hoher Energie wird vom Kristall in zwei Photonen niedrigerer Energie umgewandelt – das bezeichnet man als „Down Conversion“. Damit lassen sich rasch und einfach große Zahlen verschränkter Photonenpaare produzieren.
Atome zu verschränken ist allerdings viel schwieriger. Man kann einzelne Atome mit Hilfe von komplizierten Laser-Operationen verschränken – dann bekommt man allerdings immer nur ein einziges Atompaar. Oder man lässt den Zufall regieren, um Quantenverschränkungen zu erzeugen: Wenn zwei Teilchen miteinander auf eine passende Weise wechselwirken, können sie danach ebenfalls verschränkt sein. Man kann Moleküle zerbrechen, sodass miteinander verschränkte Bruchteile davonfliegen. Doch diese Methoden sind nicht kontrollierbar. „In diesem Fall bewegen sich die Teilchen in zufällige Richtungen. Wenn man Experimente durchführt, möchte man aber genau bestimmen können, wohin sich die Atome bewegen“, sagt Jörg Schmiedmayer.
Die doppelte Teilchenfalle
Kontrollierte verschränkte Atompaare konnte man nun an der TU Wien mit einem neuartigen Trick herstellen: Man erzeugt eine Wolke aus ultrakalten Atomen, die an einem winzigen Chip von elektromagnetischen Kräften festgehalten werden. „Wir manipulieren diese Atome so, dass sie nicht den Zustand mit der niedrigsten möglichen Energie annehmen, sondern den nächsthöheren Energiezustand“, sagt Filippo Borselli. Dies wurde durch eine Zusammenarbeit mit Prof. Tommaso Calarco am Forschungzentrum Jülich möglich, der mit seiner Gruppe eine optimale Quantenkontrolle zur Anregung der Atome in der Falle entwickelte. Von diesem angeregten Zustand kehren die Atome dann spontan in den Grundzustand mit niedrigster Energie zurück.
Allerdings ist die elektromagnetische Falle so konstruiert, dass diese Rückkehr in den Grundzustand für ein einzelnes Atom physikalisch nicht möglich ist – das würde die Impulserhaltung und Quantensymmetrien verletzen. Die Atome können daher nur paarweise in den Grundzustand wechseln und danach in entgegengesetzte Richtungen davonfliegen, sodass ihr Gesamtimpuls weiterhin null ist. So entstehen verschränkte Zwillingsatome, die sich exakt in jene Richtung bewegen, die von der elektromagnetischen Falle auf dem Chip vorgegeben wird.
Das Doppelspaltexperiment
Die Falle besteht aus zwei langgezogenen, parallelen Bereichen. Die Zwillingsatome können im linken oder im rechten Bereich entstanden sein, oder – wie es die Quantenphysik eben auch erlaubt – in beiden. „Es ist wie beim wohlbekannten Doppelspaltexperiment, bei dem man ein Teilchen auf eine Wand mit zwei Schlitzen schießt“, sagt Filippo Borselli. „Das Teilchen kann gleichzeitig sowohl durch den linken als auch durch den rechten Schlitz gelangen, dahinter überlagert es sich mit sich selbst, und dadurch entstehen Wellenmuster, die man messen kann.“
Dasselbe Prinzip lässt sich nutzen, um nachzuweisen, dass es sich bei den Zwillingsatomen tatsächlich um verschränkte Teilchen handelt: Nur wenn man das Gesamtsystem misst – also beide Atome gleichzeitig, kann man die für Quantenphänomene typischen wellenartigen Überlagerungen nachweisen. Wenn man sich hingegen auf ein einzelnes Teilchen beschränkt, verschwindet die Wellenüberlagerung vollständig.
„Das zeigt uns, dass es in diesem Fall quantenphysikalisch eben keinen Sinn ergibt, die Teilchen einzeln zu betrachten“, erklärt Jörg Schmiedmayer. „Beim Doppelspaltexperiment verschwinden die Überlagerungen, sobald man misst, ob das Teilchen durch den linken oder durch den rechten Spalt geht. Sobald diese Information verfügbar ist, wird die Quantenüberlagerung zerstört. Bei uns ist es ganz ähnlich: Wenn die Atome verschränkt sind und man nur eines davon misst, könnte man theoretisch das andere Atom noch dafür verwenden, um zu messen, ob beide im linken oder im rechten Bereich der Falle entstanden sind und die Interferenz verschwindet.“
Nachdem nun nachgewiesen ist, dass sich auf diese Weise mit ultrakalten Atomwolken tatsächlich zuverlässig verschränkte Zwillingsatome herstellen lassen, sollen nun weitere Quantenexperimente mit diesen Atompaaren durchgeführt werden – ähnlich wie sie bisher bereits mit Photonenpaaren möglich waren.
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