Energie und Umwelt - News

Das September-Hochwasser: Was lernen wir daraus?

Prof. Günter Blöschl zieht Bilanz: Auch wenn das jüngste Hochwasser schwere Schäden verursacht hat, haben viele wichtige Maßnahmen geholfen, Schlimmeres zu vermeiden.

Portraitfoto

Der Sturm Boris brachte die jüngste in einer Reihe von Überschwemmungen in einer der hochwassergefährdetsten Perioden Europas seit 500 Jahren, doch Wien konnte größere Schäden vermeiden. Aus den Vorbereitungen der Stadt – und ganz Österreich – können andere Regionen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, wertvolle Lehren ziehen.

Investitionen in den Hochwasserschutz haben sich gelohnt

Vom 12. bis 16 September 20024 fiel in fünf Tagen das Fünffache der Niederschlagsmenge, die für den gesamten September typischen ist.Trotz der Tragik des Ereignisses kamen viele Bürgerinnen und Bürger aber relativ glimpflich davon. Österreich hat in den letzten Jahrzehnten stark in den Hochwasserschutz investiert, insbesondere nach den verheerenden Überschwemmungen von 2002 und 2013.

Das Hochwasserschutzsystem der Stadt Wien, das in den 1870er und 1970er Jahren entwickelt wurde, ist für einen Abfluss von 14.000 Kubikmetern pro Sekunde ausgelegt - weit mehr als die 10.000 Kubikmeter pro Sekunde während des jüngsten Unwetters. Zu den wichtigsten Komponenten gehört die Neue Donau, die normalerweise durch Wehre geschlossen ist. Die Wehre werden vor einem zu erwartenden Hochwasser geöffnet, sodass die Neue Donau mehrere Tage lang Wasser aufnehmen kann und der Druck auf die Donau selbst gemindert wird. Trotz der Schutzvorkehrungen der Stadt kam es zu kleineren Überschwemmungen, wobei der Wienfluss die U-Bahn-Gleise bedrohte und die U-Bahn für einige Tage lahmlegte. 

Österreich investiert jährlich rund 60 Millionen Euro in den Hochwasserschutz, wodurch sich die Schäden deutlich verringern. Nach dem Hochwasser von 2002, das Schäden in Höhe von 3 Mrd. EUR verursachte, gingen die Auswirkungen des Hochwassers von 2013 dank verbesserter Maßnahmen auf etwa 0,9 Mrd. EUR zurück.

Die Herausforderungen bleiben jedoch bestehen, da die Verstädterung die Überschwemmungsgebiete verkleinert und die Risiken trotz der bestehenden Schutzmaßnahmen erhöht. Dieser sogenannte „Levee Effekt“ (1) führt dazu, dass die Bewohner die Überflutungsrisiken unterschätzen, was die Ansiedlung in Überschwemmungsgebieten attraktiver macht. Weltweit leben etwa 2 Milliarden Menschen in hochwassergefährdeten Gebieten, und das Bewusstsein für Überflutungsrisiken schwindet oft mit der Zeit.

Niederösterreich: Korrekte Vorhersagen, gerettete Leben

In Österreich haben präzise Vorhersagen und Alarmübungen der Einsatzkräfte beim jüngsten Hochwasser nicht nur in Wien, sondern im ganzen Land Leben gerettet. Gründliche Vorbereitung ist für ein effektives Hochwassermanagement unerlässlich. Genaue Vorhersagen waren auch ausschlaggebend für die Entscheidung, wo Dämme zu brechen drohten und wo Evakuierungen notwendig waren, insbesondere in Niederösterreich, das vom Sturm Boris stark betroffen war. Das von der Technischen Universität Wien für das Land Niederösterreich entwickelte Hochwasservorhersagesystem (2) hat dabei sehr gut funktioniert.

In St. Pölten fielen innerhalb von drei Tagen 350 mm Niederschlag (350 Liter pro Quadratmeter), fast doppelt so viel wie der 100-jährliche Niederschlag. Das führte dazu, dass einige kleine Bäche in Niederösterreich Spitzenabflüsse erreichten, die das Dreifache des 100-jährlichen Hochwassers ausmachten. So wies die Perschling in der Nähe von St. Pölten, bei einem Einzugsgebiet von nur 55 km² einen Spitzenabfluss von 276 m³/s auf, verglichen mit einem 100-jährlichen Hochwasserwert von 108 m³/s und dem höchsten aufgezeichneten Hochwasser von 102 m³/s. Obwohl im August fast keine Niederschläge fielen und die Böden daher trocken waren, führten die extremen Niederschläge zu dramatischen Überschwemmungen in den örtlichen Bächen und verursachten erhebliche Schäden, insbesondere in zahlreichen Kellern. Der von den Fluten mitgeführte Schlamm trug zu diesen Zerstörungen bei. 

Was wirklich wirkt: Rückhaltebecken und Dämme

Das Hochwasser von 2024 zeigt, welche Art von Hochwasserschutz wirksam sein kann: Rückhaltebecken für die kleineren Flüsse und Dämme für die größeren Flüsse. Aber sie funktionieren nur bis zu ihrem Schutzniveau. Sobald das Hochwasser dieses Schutzniveau überschreitet, ist eine Evakuierung erforderlich.

Das Hochwasser veranschaulicht auch ein im Jahr 2024 heiß diskutiertes Thema: Naturbasierte Lösungen zur Verringerung des Hochwasserrisikos. Diese bilden natürliche Prozesse nach und umfassen Maßnahmen wie die Wiederherstellung von Feuchtgebieten an Flüssen, die Wiederanbindung von Überschwemmungsgebieten, begrünte Dächer und Aufforstung. Sie bieten ökologische und ästhetische Vorteile, aber ihre Wirksamkeit in der Wasserwirtschaft ist differenziert.

Vorteile bringen eine verbesserte Grundwasseranreicherung durch durchlässige Beläge in städtischen Gebieten und eine Verringerung des Erdrutsch- und Lawinenrisikos durch die Wiederaufforstung im Gebirge. Naturbasierte Lösungen werden zwar manchmal als Mittel zur Minderung extremer regionaler Überschwemmungen angepriesen, ihre Wirksamkeit ist jedoch begrenzt. Die Erfahrungen aus Österreich zeigen, dass die Renaturierung von Flüssen und die Begrünung von Dächern nur einen geringen Einfluss auf das Hochwasser vom September 2024 gehabt hätten, da ihre zusätzliche Kapazität Wasser aufzunehmen im Vergleich zu den bei diesem Ereignis auftretenden Hochwasservolumen minimal ist (3).

Der Klimawandel als wichtiger Faktor

Vorsorge ist wichtig, da Studien zeigen, dass der Klimawandel in bestimmten europäischen Regionen zu stärkeren Niederschlägen und Überschwemmungen führt (4). Der Sommer 2024 war weltweit und in Europa einer der wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen, und das Mittelmeer erreichte sehr hohe Wassertemperaturen. Diese ungewöhnliche Wärme ermöglichte es dem Sturm Boris, mehr Energie und Feuchtigkeit aufzunehmen, was die Intensität der Stürme erhöhte.

Darüber hinaus kam es in Nordeuropa zu vermehrten Überflutungen, weil sich die globalen Niederschlagsmuster nach Norden verschoben haben, was auf veränderte Druckverhältnisse zwischen Arktis und Äquator zurückzuführen ist. Die rasche Erwärmung der Arktis, die durch das schmelzende Eis verursacht wird, verringert die Reflektivität der Erdoberfläche und erhöht die Absorption des Sonnenlichts, was zu diesem Trend beiträgt. In den Ländern nördlich der Alpen, darunter Österreich, Deutschland und Frankreich, hat die Zahl der Überschwemmungen in den letzten 30 Jahren zugenommen, was diesen Zeitraum zu einem der am stärksten von Überschwemmungen betroffenen in Europa in den letzten 500 Jahren macht (5).

Die verheerenden Überschwemmungen in Europa im Jahr 2021, die mehr als 200 Menschenleben forderten, unterstrichen die Dringlichkeit einer besseren Vorbereitung. In einem deutschen Bericht aus dem Jahr 2024 wurden klarere Warnungen mit konkreten Maßnahmen gefordert, einschließlich detaillierter Karten für die Öffentlichkeit und einer Kommunikation die eine breitere Öffentlichkeit erreicht. Das Hochwasser von 2021 zeigt auch, dass es nicht ausreicht, sich bei der Abschätzung der Hochwassergefahr von Extremereignissen ausschließlich auf statistische Methoden zu verlassen; es ist eine Kombination aus prozessbasierten und statistischen Ansätzen sowie die Auswertung historischer Hochwasserdaten erforderlich (6).

Während Wien das jüngste Hochwasser relativ gut bewältigt hat, kam es in Mitteleuropa zu schweren Zerstörungen mit über 20 Todesopfern und der Evakuierung ganzer Städte, wie z.B. Nysa in Polen. Die Landwirte in Österreich mussten erhebliche Ernteverluste hinnehmen, die sich auf Millionenbeträge belaufen. Der grenzüberschreitende Austausch von Erfahrungen ist für die europäischen Länder von entscheidender Bedeutung, um besser auf extreme Wetterbedingungen vorbereitet zu sein.

Eine Analyse aus dem Jahr 2023 ergab, dass 95,5 % der historischen Megafloods auf der Grundlage früherer Ereignisse in ähnlichen Regionen hätten vorhergesehen werden können (7). Die Studie zeigte, dass Megafloods in bestimmten Ländern zwar selten sind, aber in ganz Europa häufiger vorkommen, was darauf hindeutet, dass mit lokal begrenzten Überschwemmungen gerechnet werden muss. Da jeder achte Europäer in potenziell überschwemmungsgefährdeten Gebieten lebt, deuten Modelle, die eine Zunahme extremer Niederschläge in Nordwesteuropa vorhersagen, darauf hin, dass sich dieser Trend wahrscheinlich fortsetzen wird.

Univ. Prof. Günter Blöschl
Institut für Wasserbau und Ingenieurhydrologie, Technische Universität Wien

Literatur

(1) Viglione, A., G. Di Baldassarre, L. Brandimarte, L. Kuil, G. Carr, J. L. Salinas, A. Scolobig and G. Blöschl (2014) Insights from socio-hydrology modelling on dealing with flood risk - roles of collective memory, risk-taking attitude and trust. Journal of Hydrology, 518, Part A, 71-82.

(2) Nester, T., R. Kirnbauer, D. Gutknecht and G. Blöschl (2011) Climate and catchment controls on the performance of regional flood simulations. Journal of Hydrology, 402, 340-356.

(3) Blöschl, G. (2022) Three hypotheses on changing river flood hazards. Hydrology and Earth System Sciences, 26, 5015-5033.

(4) Blöschl, G., J. Hall et al. (2019). Changing climate both increases and decreases European river floods. Nature, 573 (7772), 108-111.

(5) Blöschl, G., A. Kiss, A. Viglione et al. (2020) Current European flood-rich period exceptional compared with past 500 years. Nature, 583 (7817), 560–566.

(6) Merz R. and G. Blöschl (2008) Flood frequency hydrology: 1. Temporal, spatial, and causal expansion of information. Water Resources Research, 44, W08432.

(7) Bertola, M., G. Blöschl et al. (2023) Megafloods in Europe can be anticipated from observations in hydrologically similar catchments, Nature Geoscience, 16, 982–988.