Brücken ohne Lager und Fahrbahnübergänge werden als integrale Brücken bezeichnet. Der weltweite Trend im Brückenbau geht eindeutig in Richtung der integralen Bauweise, weil Lager und Fahrbahnübergänge Verschleißteile sind, die in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden müssen.

Bei den derzeit ausgeführten integralen Brücken rufen die Längenänderungen des als Balken ausgeführten Brückenträgers infolge Temperaturabsenkung im Winter beziehungsweise Temperaturanstieg im Sommer Verschiebungen an den Widerlagern hervor, die kein großes Problem darstellen, wenn die Gesamtlänge der Brücke höchstens 70 m beträgt. Bei längeren Brücken sind bei den Widerlagern Lager und Fahrbahnübergänge erforderlich, um einen Ausgleich der Temperaturverformungen zu ermöglichen.

Bei Bogenbrücken können die bei Balkenbrücken auftretenden Probleme mit den temperaturbedingten Längsverschiebungen des Brückenträgers vermieden werden.

An der TU Wien ist nun eine Technologie entwickelt worden, die es ermöglicht, integrale Brücken in beliebiger Länge zu errichten, indem auf die Vorteile der Bogenbrücken zurückgekommen wird: Eine Erwärmung der Brücke im Sommer führt zu vertikalen Verschiebungen der Bögen, des Füllmaterials und der Fahrbahn nach oben. Eine Abkühlung der Brücke im Winter bewirkt vertikale Verformungen nach unten. Zwischen den unverschieblichen Widerlagern treten bei einem Temperaturanstieg oder bei einer Temperaturabsenkung praktisch keine Verformungen in Längsrichtung der Brücke auf. Deshalb werden die Pfeiler durch Temperaturunterschiede in der Brücke nicht auf Biegung beansprucht. 

Die integrale Bogenbrücke der TU Wien sieht Zugbänder zwischen den Fußpunkten der Bögen vor, die nach dem Erhärten des Betons so hoch angespannt werden, dass sich das Tragwerk von der Schalung löst. Dadurch kann die Brücke einfach und abschnittsweise errichtet werden. Es können beliebig viele Bauabschnitte auf diese Weise hergestellt werden. Abschließend werden die Zugbänder über den Pfeilern und mit den Widerlagern verbunden, wie an Abbildung 1 ersichtlich ist.

Schrittweise Entwicklung dieser neuartigen Technologie

Die Problemstellung, die mit der TU Wien-Technologie gelöst werden kann, ist der Bau einer integralen Brücke (ohne Lager und Fahrbahnübergänge) für eine beliebig große Länge. Bei der Lösung dieses Problems sind die Einwirkungen aus dem Eigengewicht, einer feldweisen Verkehrsbelastung, den Bremskräften und Temperaturunterschieden zu berücksichtigen. 

Im Rahmen von numerischen Simulationen mit Finite Elemente Programmen werden Modelle von unterschiedlichen Brückenüberbauten mit einer Bogen-Zugband-Tragwirkung erstellt und das Verhalten dieser Modelle unter der Einwirkung der maßgebenden Lastfälle untersucht.

Eine mögliche Ausführungsform beinhaltet, dass der Bogen im Überbau der Brücke von außen nicht erkennbar ist. Die Form des Bogens in dem balkenförmigen Brückenträger wird durch geschalte Schlitze oder durch Einlagen aus einem weichen Material vorgegeben. Die erforderliche Anzahl und die notwendige Breite der Schlitze wird ebenfalls auf der Grundlage von numerischen Simulationen bestimmt. 

Nach Abschluss der numerischen Simulationen wird ein Prototyp einer dreifeldrigen integralen Brücke gebaut werden. Der Prototyp mit einer Feldlänge von ca. 9 m kann als skalierter Ausschnitt einer Brücke mit einer Spannweite von beispielsweise 45 m oder als Ausschnitt einer in der Fahrbahnplatte angeordneten Ausführungsform angesehen werden.

Begleitend zu den Messungen zur Erfassung des Tragverhaltens des Prototyps bei Temperaturunterschieden und bei feldweiser Verkehrsbelastung werden die numerischen Modelle kalibriert und verbessert werden. Mit den adaptierten numerischen Modellen wird anschließend eine Parameterstudie durchgeführt werden, um die Anwendungsgrenzen des neuen Bauverfahrens aufzuzeigen.

Vorteile des neuen Verfahrens

Eine mit dem TU-Verfahren hergestellte integrale Brücke weist gegenüber dem Stand der Technik folgende Vorteile auf:

  • Herstellung von integralen Brücken beliebiger Länge
  • Schlanke, elegante Brücken mit sehr geringem Materialeinsatz
  • Einfache, abschnittsweise Herstellung ohne aufwändige temporäre Absicherungen in der Bauphase
  • die Aufnahme einer feldweisen Verkehrsbelastung über Normalkräfte in den Zugbändern und nicht über Biegung in den Pfeilern und den Bögen ermöglicht weitere Materialeinsparungen bei Pfeilern und Tragwerk
  • Vermeidung der Gefahr eines fortschreitenden Versagens (progressive collapse) nach dem Ausfall eines Bogens sowohl im Bauzustand als auch im Endzustand

Ansprechpartner:

Kontakt: Dipl.-Ing. Georg Gaßner

email: georg.gassner@tuwien.ac.at