Kuppeln aus Eis
Eis als Baustoff
Eis ist ein faszinierendes, natürliches Material. Die meisten Menschen assoziieren Eis mit Bildern von Gletschern, Eisbergen, gefrorenen Wasserfällen, zugefrorenen Seen, Eiszapfen oder Eiskristallen.
Als Baustoff eignet sich Eis für temporäre Bauwerke, wobei allerdings die im Vergleich mit anderen Baustoffen eher geringen Festigkeitseigenschaften zu beachten sind. Wegen der geringen Festigkeit und dem ausgeprägten Kriechverhalten wird Eis entweder als dekoratives Material auf einer unterstützenden Tragstruktur oder in Konstruktionen mit kleinen Materialspannungen im Gebrauchszustand verwendet. Ein Beispiel für den ersten Anwendungsfall ist das jährlich neu errichtete Eishotel in Jukkasjärvi, Schweden, bei dessen Bau Eisblöcke auf gekrümmtem Trapezblech verlegt werden. Kuppeln sind diejenigen Tragstrukturen die für den zweiten Anwendungsfall am besten geeignet sind, wenn Eis als tragender Baustoff bei sehr geringen Spannungen in der Konstruktion verwendet wird. Iglus und japanische Eisbauten zur Lagerung von Gemüse und Sake in den Wintermonaten können als Beispiel für Kuppeln aus Eis genannt werden.
Schalen in der Natur
In statischer Hinsicht sind Kuppeln zweifach räumlich gekrümmte Schalen. In der Natur finden sich zahlreiche Beispiele für dünnwandige und zweifach räumlich gekrümmte Schalen. Als Beispiel können Eierschalen, Muschelschalen, Nussschalen oder Orangenschalen (Bild 1) genannt werden. In diesen Beispielen ist die Schale gleichzeitig schützende Hülle gegenüber schädlichen Umwelteinflüssen und statisch wirksame Tragstruktur. Zweifach räumlich gekrümmte Schalen weisen ein vorzügliches Tragvermögen auf, da Lasten aus Eigengewicht hauptsächlich Normalkräfte erzeugen.
Weitgespannte Schalentragwerke haben seit jeher auf Baumeister und Bauingenieure eine besondere Faszination ausgeübt, weil mit geringem Materialeinsatz die Überdachung großer Flächen gelingt. Zum Bau von Schalen ist in der Regel die Herstellung einer räumlich gekrümmten Schalung auf einem Lehrgerüst erforderlich. Zur Herstellung von Schalen wäre deshalb ein Verfahren wünschenswert, bei dem das Einschalen der räumlich gekrümmten Fläche und die Aufstellung eines Lehrgerüstes nicht erforderlich sind.
Ein Charakteristikum von zweifach gekrümmten Schalen ist, dass ihre Oberfläche nicht in eine ebene Fläche abgewickelt werden kann. Beim Versuch die halbkugelförmige Hälfte einer Orangenschale auf eine ebene Unterlage zu pressen, öffnen sich keilförmige Aussparungen (Bild 1). Beim Beispiel der Orangenhälfte ist eine Verkürzung des Umfangs von 36 % erforderlich, um aus der Kreisscheibe eine Halbkugel zu formen.
Eiskuppelprojekt 2005
Um diese Stauchung der Mittelebene zu ermöglichen, wurden beim Eiskuppelprojekt 2005 die beiden Baustoffe Eis und extrudierter Polystyrol-Hartschaumstoff kombiniert.
Ausgehend vom Bild der ausgebreiteten Orangenschale wird ein Verfahren vorgeschlagen, bei dem die Aussparungen aus einem weichen, verformbaren Material (Polystyrol) und die Segmente aus einem harten Material (Eis) bestehen. Voruntersuchungen zur Bestimmung der Druckfestigkeit (Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen) und zur Ermittlung des Biegetragvermögens von bewehrten Eisbalken (Institut für Straßenbau und Straßenerhaltung) lieferten Grundlagen für die weiteren Experimente.
Das am Institut für Tragkonstruktionen entwickelte Verfahren zur Herstellung von räumlich gekrümmten Schalen aus einer ebenen Ausgangsform wurde in einem Laborversuch überprüft. Eine 4 cm dicke Eisplatte mit 5,2 m Durchmesser wurde durch das Anspannen eines entlang des Umfangs verlegten Spannglieds in eine Eiskuppel mit einem Stich von 90 cm umgeformt (Bild 2).
Im Dezember 2005 wurde in Obergurgl, Tirol in einem Feldversuch aus einer 16 cm dicken Eisplatte eine Eiskuppel mit 13 m Durchmesser hergestellt. Mit diesem Versuch konnte die Funktionsfähigkeit des Verfahrens zur Herstellung von Eiskuppeln für Anwendungen im großen Maßstab nachgewiesen werden.
Bild 3: Eiskuppel mit 13m Durchmesser in Obergurgl, Winter 2005 (Foto: Günter Richard Wett)
Eiskuppelprojekt 2008/09
Aufbauend auf diese Erfahrungen, wurde das eben beschriebene Herstellungsverfahren für Eisschalen weiterentwickelt.
Bei dieser neuen Methode besteht die Schale aus einzelnen ebenen Elementen, deren Form an die Endform der Schale angepasst ist. Diese einzelnen Elemente, welche auf einer ebenen Arbeitsfläche liegen, werden mit Hilfe von Zuggliedern zusammengehalten, wodurch eine ebene Platte entsteht. Um nun diese Platte in eine Schale umzuformen, wird eine pneumatische Schalung (kurz: Pneu) verwendet.
Im Gegensatz zur vorhergehenden Herstellungsmethode, können jetzt Schalen mit größeren Krümmungen, wie beispielsweise Halbkugeln, erzeugt werden. Außerdem befindet sich zwischen den Segmenten aus Eis kein Polystyrol, welches im Zuge des Aufstellvorganges zusammengedrückt werden muss, wodurch das Verformen der ebenen Platte zu einer Schale mit deutlich weniger Kraft durchgeführt werden kann.
Um diese neue Herstellungsmethode zu demonstrieren wurden in unserem Labor Holzmodelle angefertigt. Bild 4 zeigt den Aufstellvorgang einer Holzschale durch das Aufblasen der pneumatischen Schalung, die sich unter den Holzelementen befindet.
Im Winter 2008/09 wurde diese weiterentwickelte Herstellungsmethode an 2 Eiskuppeln in Obergurgl, Tirol getestet.
Zunächst wurden zwei Eisplatten mit den Durchmessern 6 bzw. 13 m hergestellt, die anschließend in je 96 unabhängige Elemente zerteilt wurden, welche durch Zugglieder zusammengehalten wurden (siehe Bild 5).
Aus der Eisplatte mit dem Durchmesser von 6m entstand durch Aufblasen der pneumatischen Schalung eine Halbkugel mit einem Durchmesser von 4m und einer Höhe von 2m (siehe Bild 6).
Bild 6: Eiskuppel mit 2m Höhe, Winter 2008/09
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