Presseaussendungen

Katalysatoren: Gleichzeitig vergiftet und sehr lebendig

Eine überraschende Entdeckung an der TU Wien: Ein Katalysator scheint üblichen Gesetzen zu widersprechen und kann gleichzeitig völlig unterschiedliche Zustände annehmen.

Aufnahme der Oberfläche und Graphik, die einzelne Atome zeigt

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Lokale Musterbildung der oszillierenden Wasserstoffoxidation auf Rhodium: Mit einem Rasterphotoelektronenmikroskop (SPEM) wurde eine Landkarte der Spezies auf der Katalysatoroberfläche erstellt (links). Spektroskopische Daten (XPS) über die Belegung der Oberfläche erlauben die Entwicklung atomarer Modelle der zugehörigen Oberflächenaktivitätszustände (rechts).

Montage aus 10 Einzelfotos

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Das Forschungsteam

Manchmal funktionieren chemische Reaktionen im Labor so wie man sich das vorstellt, und manchmal nicht. Beides ist nicht ungewöhnlich. Höchst ungewöhnlich ist aber das, was ein Forschungsteam an der TU Wien nun beobachtete, als man Wasserstoff-Oxidation an einem Rhodium-Katalysator untersuchte: Die Oberfläche einer Rhodium-Folie kann an manchen Stellen chemisch hoch aktiv sein, an anderen, nur ein paar Mikrometer entfernt, hingegen völlig inaktiv, und an wieder anderen stellt sich ein oszillierender Wechsel zwischen dem aktiven und dem inaktiven Zustand ein. Ein solches Verhalten hielt man bisher für kaum vorstellbar. Die Ergebnisse, die nun im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert wurden, zeigen: Katalyse ist komplizierter als bisher angenommen.

Grundprinzip der Brennstoffzelle

„Mit Hilfe von Katalysatoren wie dem Metall Rhodium kann man Wasserstoff oxidieren – das ist die entscheidende Reaktion in Brennstoffzellen, dabei entsteht als „Abgas“ nur Wasser “, sagt Prof. Yuri Suchorski vom Institut für Materialchemie der TU Wien. Wasserstoffmoleküle werden an der Rhodium-Oberfläche festgehalten und in einzelne Atome aufgespalten, die sich dann mit Sauerstoff zu Wasser verbinden.

Allerdings kann es passieren, dass sich an der Rhodium-Oberfläche eine Sauerstoffschicht festsetzt, sodass der Wasserstoff gar nicht mehr zu den Rhodium-Atomen gelangen kann. „In diesem Fall sagt man, die Oberfläche des Katalysators ist vergiftet“, erklärt Prof. Günther Rupprechter, der Leiter des Forschungsprojekts. „Der Katalysator kann seine Funktion nicht mehr erfüllen, die Reaktion kommt zum erliegen."

Ob der Katalysator seiner Aufgabe nachkommt oder ob er vergiftet wird, hängt von äußeren Parametern ab, etwa dem Druck der Reaktanten und Temperatur. Doch die Rhodium-Folie zeigt im Experiment ein sonderbares Verhalten: Alle Bereiche der Oberfläche sind zwar denselben äußeren Bedingungen ausgesetzt, trotzdem kann es passieren, dass manche Stellen der Oberfläche katalytisch aktiv sind, andere vergiftet und völlig inaktiv, und wieder andere wechseln mit unterschiedlichen Frequenzen zwischen einem aktiven und einem inaktiven Zustand hin und her. „Das klingt so ungewöhnlich, dass wir uns bisher gar nicht vorstellen konnten, dass so etwas möglich ist“, sagt Philipp Winkler, der Erstautor der Studie.

Nähere Untersuchungen, die das Team der TU Wien unter anderem am Elettra Synchrotron in Triest zusammen mit italienischen Kollegen durchführte, konnten die Beobachtungen erklären: Die polykristalline Rhodium-Oberfläche setzt sich aus unterschiedlichen Körnchen zusammen, die in unterschiedlichen Winkeln angeordnet sind. Das bedeutet, dass sich die Anordnung der Atome an der Oberfläche von Körnchen zu Körnchen unterscheidet.

„Die Dynamik der chemischen Reaktion hängt überraschend empfindlich von der Ausrichtung der Körnchen und damit von der atomaren Struktur der Oberfläche ab“, sagt Yuri Suchorski. „Die Unterschiede zwischen den katalytischen Eigenschaften der einzelnen Strukturen desselben Metalls sind im Fall von Rhodium viel größer als vermutet, und so ist es möglich, dass sich unterschiedliche Körnchen zur gleichen Zeit und unter gleichen Bedingungen völlig unterschiedlich verhalten. Dabei ist das oszillierende Verhalten besonders interessant.“

Kaninchen und Füchse

Ähnliche Prozesse kennt man auch aus ganz anderen Bereichen der Wissenschaft – etwa von Räuber-Beute-Modellen: Wenn viele Kaninchen geboren werden, haben die Füchse viel zu fressen, dann werden im nächsten Jahr mehr hungrige Füchse geboren und die Zahl der Kaninchen nimmt ab: Genau wie bei Kaninchen und Füchsen handelt es sich beim Zusammenspiel von Wasserstoff und Sauerstoff um ein System, das sich im dynamischen Gleichgewicht befindet oder aber zwischen unterschiedlichen Zuständen oszillieren kann. Auch wenn die Dichte an Kaninchen und Füchsen anfangs überall gleich hoch ist, kann es sein, dass sich an unterschiedlichen Orten ganz unterschiedliche zeitliche Entwicklungen ergeben – etwa weil sich an bestimmten Stellen die Kaninchen besser vor den Füchsen verstecken können als anderswo. Auf ähnliche Weise ergeben sich unterschiedliche chemische Dynamiken auf unterschiedlichen Körnchen der Rhodium-Oberfläche.

Diese Ergebnisse liefern eine wichtige Erkenntnis, die für die Katalyseforschung insgesamt große Bedeutung hat: Es genügt nicht, einen Katalysator global zu beschreiben, man muss seine lokale Mikrostruktur berücksichtigen und damit rechnen, dass er an unterschiedlichen Stellen ganz unterschiedliches Verhalten zeigen kann. „Wir gehen davon aus, dass solche Effekte für viele unterschiedliche Katalysatoren und Reaktionen eine Bedeutung haben“, sagt Günther Rupprechter „In diesem Forschungsgebiet gibt es jedenfalls noch viel zu tun.“

Die Arbeiten wurden im Rahmen des vom FWF geförderten Projekts „Spatial-temporal phenomena on surface structure libraries“ durchgeführt.

Originalpublikation

P. Winkler et al., Coexisting multi-states in catalytic hydrogen oxidation on rhodium, Nature Communications 12, 6517 (2021)., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Kontakt

Prof. Yuri Suchorski
Institute of Materials Chemistry
TU Wien
+43 1 58801 165106
yuri.suchorski@tuwien.ac.at

Prof. Günther Rupprechter
Institute of Materials Chemistry
TU Wien
+43 1 58801 165100
guenther.rupprechter@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
Technische Universität Wien
PR und Marketing
Resselgasse 3, 1040 Wien
43 1 58801 41027
florian.aigner@tuwien.ac.at