Marianne Röchling ist eine Person, die Verantwortung tragen und den Gang der Welt mitbestimmen möchte. Verantwortung trägt die Studentin der Technischen Physik als Präsidentin des TU Wien Space Teams für etwa 100 ehrenamtliche Mitarbeiter_innen.
Bereits ihr Großvater hat an der TU Wien studiert, erzählt sie. Deswegen hat sie auch eine Eule als Anhänger an ihrer Kette zum Interview mitgebracht – und eine kleine Rakete. Denn mit dem Weltall und der Raumfahrt fühlt sie sich schon seit ihrer Kindheit verbunden.
„In erster Linie bin ich ein Mensch, ein sehr ehrgeiziger Mensch, komme aus Wien“, beschreibt sie sich selbst. Heute, als Anfang Zwanzigjährige hat sie bereits viele ihrer Ziele erreicht: Seit 2024 nahm sie ihre Position als Präsidentin des TU Wien Space Teams an, seit 2017 arbeitet sie in einer Tanzschule, seit 2022 Risk Manager and Requirement Engineer im Bereich Cyber Defense einer Bank, 2023 hat sie das Regional Network Austria of Women in Aerospace mitbegründet und mitgeleitet.
Im Interview spricht sie über ihre Faszination für das All und ihr Studium der Technischen Physik, darüber, wie wichtig ihr Erfolg ist, über Selbstzweifel oder das Impostorsyndrom. Abschrecken lässt sie sich aber davon nicht. Deswegen besuchte sie als Schülerin das Mathe- anstatt ein Sprachcamp, oder sie macht gleich in der ersten Reihe mit in der Männerwelt des TU Wien Space Teams, wo sie erste weibliche Präsidentin wurde. Das, so erzählt sie, inspiriert viele Frauen, für die sie bereits jetzt Vorbild ist.
Marianne Röchling im Gespräch
Was bedeutet Dir Erfolg und warum willst Du Verantwortung tragen?
Marianne Röchling: Ich möchte einen Fußabdruck auf dieser Welt hinterlassen, ich habe einen inneren Antrieb, große Dinge zu erreichen – ich verfolge meine Ziele und Träume. Früher habe ich mich nicht getraut zu sagen, dass ich Führungskraft sein möchte, weil es oft negativ behaftet ist, wenn Frauen ehrgeizig sind. Aber was ist so schlimm daran? Ich will ja nicht die Weltherrschaft.
Zur Verantwortung: Mir macht es Spaß, meinem Team dabei zuzuschauen, wie es läuft und wächst, Erfolge hat und wenn ich es schaffe, Ihnen den Rücken freizuhalten und dass es am Ende funktioniert, wie z.B. ein Raketenstart. Ähnlich ist es in der Tanzschule, wo ich Leute jahrelang begleite und dabei zuschaue, wie sie besser werden. Ich optimiere gerne und ich mag es strategisch zu denken: Wie die nächsten Jahre aussehen, Wünsche und Möglichkeiten auszuloten.
Bei meiner Tätigkeit als Space Team-Präsidentin fühle ich mich sowohl am wohlsten als auch am gechallengesten, weil es im Team über mir niemanden gibt, der oder die Entscheidungen statt mir treffen könnte.
Unsere Projekte sind toll und wir sind ein junges, dynamisches Team, das sehr schnell faszinierende Ideen umsetzt. Ich bin so begeistert davon, weil wir gefühlt alles machen können. Auch dass wir nicht nur in Österreich, sondern in der Welt Eindruck machen. Z.B. durfte ich das Space Team beim World Space Forum der United Nations präsentieren. Dort hat es eine solche Begeisterung hervorgerufen, was so ein kleines, nicht bezahltes Team aus Studierenden schafft. Was für eine Ehre, dass ich hingehen und das repräsentieren durfte!
Letzten Endes kann es aber so ein Team wie das Space Team nicht geben, wenn alles von oben bestimmt wird. Alle arbeiten ehrenamtlich, also freiwillig. Mit Druck funktioniert das nicht, denn wenn sich die Menschen nicht wohlfühlen, gehen sie. Ich führe zwar und entscheide tagtäglich – halte also allen den Rücken frei – aber bei wichtigen Entscheidungen beziehe ich selbstverständlich das Team ein.
Was ist die Stärke des TU Wien Space Teams?
MR: Einerseits die Kreativität der Leute und auch die Möglichkeit, dass sie einfach machen können – auch Fehler – und lernen: Man kommt hin, hat eine Idee, kanns ausprobieren, wenn merkt, es geht nicht – blöd – dann hat man halt eine andere Idee. Man hat keinen Nachteil, wird nicht gefeuert, sondern man lernt einfach und hat Platz sich auszuprobieren. Es ist eine riesengroße Learning-Experience!
Wie bist du selbst zum TU Wien Space Team gekommen?
MR: 2021, mitten in der Pandemie – ohne Vorkenntnisse und mit ein bisschen Angst, dass ich zu wenig kann. Das war aber unnötig. Wenn man neugierig ist und bereit ist zu lernen und Fragen zu stellen, bringt einem das Space Team unheimlich viel bei!
Letztes Jahr, 2023, bin ich dann Vize-Präsidentin geworden. Nach meiner Wahl ist mir dann zu Hause ein Sticker ins Auge gesprungen, den ich im ersten Semester mitgenommen habe, als sich das Space Team in einer Vorlesung vorgestellt hat. Damals hätte ich mir nicht gedacht, dass ich Vize-Präsidentin und kurz danach Präsidentin werde. Der Sticker klebt noch immer an meinem Bücherregal, neben dem von der NASA und einem der TU Wien.
Was sind die wichtigsten Dinge, die das TU Wien Space Team macht und erreicht hat?
MR: Wir arbeiten gerade an unserer Flüssigtriebwerksrakete für die European Rocketry Challenge, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster (EuRoC) im Oktober*, in Portugal. Wir sind europaweit das einzige Studierendenteam, das erfolgreich mit einer Flüssigtriebwerksrakete gestartet UND wieder gelandet ist. Gerade sind wir bei unseren Triebwerkstests. Sehr aufregend!
Außerdem bauen wir gerade unseren Satelliten STS1. Wir kaufen keine fertigen Bausätze, sondern wir konzipieren und bauen jedes Teil selbst. Außerdem machen wir die ganzen bürokratischen Sachen selbst – Hut ab vor den Kolleg_innen!
Und dann bauen wir auch eine Wasserstoffdrohne, die quer durch Österreich fliegen wird. Ob es für Flugzeuge dann auch genutzt wird, weiß man nicht, aber es ist eine komplett andere Art ein Flugzeug zu bauen. Die Herausforderungen sind z.B. die Sicherheitsstandards, die Bürokratie, aber auch der Leichtbau, weil man ein großes Volumen braucht für Wasserstoff.
Erzähle bitte etwas über Deine Ziele und Träume.
MR: Ich lebe gerne auf dieser Welt und auch gerne bequem auf dieser Welt und ich sehe, dass es immer heißer und lebensfeindlicher wird – das ist frustrierend und ich möchte etwas dagegen tun.
Für Diversität und Gleichstellung einzutreten ist mir ebenfalls sehr wichtig, auch gegen Wissenschaftsskepsis. Aber um in all diesen Bereich wirksam zu sein, kommt es auf den eigenen Impact an: Je mehr Reichweite man hat, umso mehr kann man verändern!
Mein Traum ist, dass die Menschheit außerhalb unseres Sonnensystems auch noch einen guten Ort hat. Der Mars etwa ist nicht schön; die Erde ist schön, die Erde ist lebbar. Es wäre cool, wenn es noch so einen Planeten gäbe, wo wir leben könnten – solange wir ihn nicht ausbeuten und zerstören.
Und dass wir uns als Menschheit, die vom Planeten Erde kommt und uns nicht irgendeiner Gruppe zugehörig fühlen. Ich hätte gerne, dass wir über unsere Differenzen hinwegkommen.
Mein anderer Gedanke ist, dass wir die Erde nicht mehr ausbeuten. Ich würde es gut finden, wenn wir Metall und andere unbelebte Materialien im All kriegen würden. Ich würde gerne etwas tun, damit wir interstellare Reisen (nicht nur interplanetare) machen können.
Du hast erzählt, dass es dich schon als Kind in den Weltraum und in die Weltraumforschung gezogen hat. Warum?
MR: Als Kind wollte ich weg von der Erde, weil ich Menschen anstrengend fand. Ich fand den Sternenhimmel immer schön und habe mir gewünscht dort zu sein, among the stars.
Je älter ich geworden bin, desto cooler fand ich diese monströsen Dinge da draußen, die Fusion betreiben und so Riesenenergiequellen sind, geheimnisvolle, ultraschwere Monster bzw. Objekte: Ich meine Schwarze Löcher. Wir können nicht reinschauen in sie und wissen doch, dass sie da sind. Das ist faszinierend und es gibt noch so viele Geheimnisse.
Hast du Physik studiert, um diesen Geheimnissen auf die Spur zu kommen?
MR: Ja! Im Endeffekt hilft die Physik herauszufinden, wie man diese Phänomene beschreiben kann. Das hat mich in die Physik gezogen. In der Technischen Physik bekommt man eine sehr gute Grundlage von allem und man kann trotzdem tiefergehende Fächer besuchen, z.B. bei Prof. Grumiller – es war wirklich kompliziert und schwierig, aber er hat einen ur interessanten und coolen Vortragsstil.
Die Schwarzen Löcher haben mich schon in meiner vorwissenschaftlichen Arbeit interessiert. Die Beschäftigung jetzt ist aber eine vollkommen andere Sache, weil die Mathematik dahinter extrem kompliziert ist und mehr Wissen braucht als in der Schule. Ich finde es aber sehr faszinierend, wie ich mein Wissen aus Grundlagenvorlesungen (wo man vor allem überfordert von dem ganzen Wissen ist) dann auf diesem hohen theoretischen Physik-Level anwenden kann und es einem dann doch bekannt vorkommt. Es kommen immer wieder Analogien zu anderen Themen vor. Prof. Grumiller z.B. hat Gravitationswellen mit Gleichungen beschrieben, die so ähnlich aussehen wie Maxwell-Gleichungen. Und die sind etwas, was wir in Elektrodynamik im 4. Semester gelernt haben und einfach Lichtwellen beschreiben. Es ist witzig, vereinfacht gesagt, hat er eine Konstante ausgetauscht – und dann waren es Gravitationswellen. Faszinierend!
Das gefällt mir übrigens am besten am Studium: Wenn Vortragende über ihre eigene Forschung sprechen – das macht jedes Fach interessant. Weil man versteht, wozu man das braucht.
Du hast eingangs gesagt, dass Dir der Schutz unseres Planeten wichtig ist. Wie geht das mit der Arbeit des Space Teams zusammen?
MR: Wir retten zwar nicht unmittelbar die Erde, aber man trägt mit der Raumfahrt seinen Teil bei. Bei uns lernt man technische Praxis, also Wissen, dass die Welt verbessern kann. Ein Beispiel ist unser Satellitenprojekt mit Schulen: Die Schüler_innen lernen, was es bedeutet auf die Erde zu schauen, z.B. Waldbrände zu erkennen. Wir können beobachten und helfen Voraussagen zu treffen, wie wir mit der Meteorologie Menschen schützen können. Mithilfe von Satelliten kann man sehen wer illegal abholzt, oder Tiere- und Artenbewegungen untersuchen. Mit dem Blick von oben kann man sehr viel machen.
Andererseits um eine Raumstation wie die ISS zu betreiben, und dort Menschen unter diesen Extrembedingungen leben lassen zu können, braucht es viel Wissen: z.B. wie man Wasser filtert aus Überresten. In Zeiten der Wasserknappheit ist das ein wertvolles Wissen. Das gleiche gilt für Pflanzen, die man auf einer Raumstation braucht und die mit wenig Wasser und Licht wachsen müssen.
Danke für das Interview!
* Das Interview mit Marianne Röchling entstand im Sommer 2024, vor der European Rocketry Challenge (EUROC) in Portugal, die von 09.-15.10.2024 stattfand.
Links
Interview: Edith Wildmann