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Wie man Quantenphysik durch Quantenphysik ersetzt

Julian Leonard wird mit einem ERC-Grant ausgezeichnet. Er entwickelt Quantensimulatoren, mit denen man verblüffende Effekte aus der Festkörperphysik untersuchen kann.

Julian Leonard im Grünen

Mit den Formeln der Quantenphysik kann man ganz unterschiedliche Objekte erklären: Atome etwa, aber auch Mikrochips oder Elektronen in elektromagnetischen Feldern. Manchmal zeigen sich zwischen scheinbar ganz unterschiedlichen Quanten-Experimenten interessante Ähnlichkeiten: Man kann ein Quantenobjekt untersuchen und dabei etwas lernen, was auch auf ein anderes Quantenobjekt zutrifft – obwohl man auf den ersten Blick meinen könnte, dass die beiden Objekte nichts miteinander zu tun haben.

In diesem Fall spricht man von „Quantensimulatoren“: Man simuliert eine physikalische Situation, indem man eine andere Situation erzeugt, die ähnlich ist, sich aber leichter untersuchen lässt. Genau das ist die Vision von Julian Leonard vom Atominstitut der TU Wien: Mit elektromagnetischen Feldern manipuliert er Atome, um daraus Erkenntnisse über das Verhalten von Elektronen in Festkörpern abzuleiten. Dafür wurde er nun mit einem ERC Starting Grant des European Research Council ausgezeichnet – einer der prestigeträchtigsten Förderungen der europäischen Forschungslandschaft, dotiert mit rund 1,5 Millionen Euro.

Berge und Täler aus Licht

„Wir arbeiten mit sogenannten optischen Gittern“, erklärt Julian Leonard. „Das sind gewissermaßen Kristalle aus Licht. Mit Laserstrahlen erzeugt man eine periodische Intensitätsverteilung, in der die Atome nur an ganz bestimmten Stellen sitzen können, ähnlich wie Eier im Eierkarton.“ An manchen Stellen können die Atome längere Zeit verweilen, an anderen Stellen werden sie vom Licht weggedrückt. Die Atome können bloß von einer erlaubten Stelle zur nächsten erlaubten Stelle hüpfen.

Das entspricht der Bewegung von Elektronen in einem festen Material. „Diese Elektronen können von Atom zu Atom springen, ganz ähnlich wie die Atome in unserem Licht-Experiment“, erklärt Julian Leonard. „Wir können also Effekte, die im Festkörper auftreten, mit unserem Experiment simulieren. Der Vorteil ist aber, dass wir viel bessere Möglichkeiten haben, diese Effekte zu messen und zu kontrollieren.“

Das Verhalten eines Elektrons im Inneren eines Festkörpers kann man nicht direkt beobachten. Die Atome hingegen kann man mit geeigneten Geräten genau untersuchen. Außerdem kann man die Form und die Stärke des Lichtfeldes nach Belieben anpassen – anders als in der Festkörperphysik, wo die Parameter des Experiments vom verwendeten Material fest vorgegeben sind.

Exotische Quasiteilchen

Auf diese Weise kann man sich auf die Suche nach exotischen Effekten machen, die mit anderen Methoden kaum zu untersuchen sind. „Wenn mehrere Quantenteilchen miteinander wechselwirken, dann kann es passieren, dass sie sich gemeinsam verhalten, als handle es sich um ein anderes Teilchen mit völlig anderen Eigenschaften – ein sogenanntes Quasiteilchen.“

Die Situation ähnelt in gewissem Sinn einem Vogelschwarm, der kollektiv auf abenteuerlichen Flugbahnen durch die Luft fliegt: Durch das Zusammenwirken der Vögel entsteht etwas Neues, der Schwarm bewegt sich kollektiv ungefähr so als wäre er ein anderes Tier, mit völlig anderen Eigenschaften als ein Vogel – man könnte den Schwarm vielleicht als „Quasivogel“ bezeichnen.

Anyonen, die man nicht vertauschen kann

Solche Quasiteilchen können verblüffende Eigenschaften zeigen. So gibt es etwa die sogenannten „Anyonen“, die in zweidimensionalen Grenzschichten auftreten können. „Wenn man zwei Teilchen vertauscht und sie dann wieder zurücktauscht, hat man normalerweise den Ursprungszustand wiederhergestellt. Bei Anyonen in zwei Dimensionen ist das aber nicht der Fall. Man hat einen neuen Zustand erzeugt, der sich vom Anfangszustand unterscheidet“, sagt Julian Leonard. „Diese Prozesse sind bisher noch kaum experimentell untersucht, hier gibt es noch viel zu forschen. Es handelt sich um sogenannte topologische Effekte, die für neue Quantentechnologien sehr vielversprechend sind – etwa für Quanten-Informationsspeicher oder Quantencomputer.“

Julian Leonard

Julian Leonard studierte Physik an der TU München. Schon als Student knüpfte er Kontakte am Max Planck Institut für Quantenoptik in Garching, seine Diplomarbeit schrieb er dann an der École Normale Supérieure und Sorbonne Université in Paris. Danach begann er an der ETH Zürich ein Doktoratsstudium, das er 2017 abschloss. Noch im selben Jahr wechselte er als Postdoctoral Fellow ans Physik-Institut der Harvard University, USA. 2021 gewann er den hochdotierten START-Preis des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, kehrte damit nach Europa zurück und baute am Atominstitut der TU Wien seine eigene Forschungsgruppe auf. Mit dem ERC-Grant wird er sein Team an der TU Wien nun erweitern und neue Experimente vorantreiben.

Rückfragehinweis:

Prof. Julian Leonard
Atominstitut
Technische Universität Wien
+43 1 58801 141870
julian.leonard@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
PR und Marketing
Technische Universität Wien
Resselgasse 3, 1040 Wien
+43 1 58801 41027
florian.aigner@tuwien.ac.at