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Simulationsmodell: Welche Impfungen sollen gratis sein?

Welche Impfungen sollten staatlich finanziert werden? Wie wird das Gesundheitsbudget möglichst effizient eingesetzt? Ein neues Simulationsmodell hilft nun bei der Entscheidungsfindung.

Impfung

© Symbolbild_TU Wien

Impfungen gehören zu den besten und wirksamsten Maßnahmen für die öffentliche Gesundheit: Sie verhindern nicht nur Krankheitsfälle und retten Leben, sie helfen auch, Krankenhausaufenthalte und öffentliche Kosten zu reduzieren. In Österreich stehen bis 2028 jährlich 90 Millionen Euro an finanziellen Mitteln für zusätzliche Impfungen zur Verfügung. Aber wie kann man dieses Geld am besten einsetzen? Welche Impfungen sollen vom Gesundheitssystem bezahlt werden? Wie kann man bei gegebenem Budget die bestmögliche Wirkung erzielen?

Um solche Fragen auf wissenschaftlich fundierte, evidenzbasierte Weise beantworten zu können, wird nun von einem interdisziplinären Konsortium gemeinsam mit den Entscheidungsträger_innen eine digitale Infrastruktur entwickelt, die mit Hilfe von Computersimulationen unterschiedliche Impfungen miteinander vergleichen kann und mit immer besseren Daten und immer mehr Informationen auch in Zukunft laufend dazulernt. So werden Entscheidungsgremien wie das nationale Impfgremium (NIG) unterstützt.

Federführend beteiligt ist die Simulations-Forschungsgruppe von Niki Popper (TU Wien), darüber hinaus die Medizinische Universität Wien sowie rund 40 weitere Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen, die das Projekt beratend unterstützten. Weitere Partner_innen, etwa aus dem Bereich Gesundheitsökonomie, sollen noch dazustoßen.

Digitale Infrastruktur, die mit neuer Information mitwächst

„Das Projekt wird international neue Maßstäbe setzen“, sagt Niki Popper von der TU Wien. „Bisher gibt es in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Gremien, die Impf-Empfehlungen aussprechen – nach bestem Wissen und Gewissen, auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Faktenlage. Wir gehen einen anderen Weg: Wir bauen eine nachhaltige digitale Infrastruktur auf, die diesen Prozess auf objektive, transparente und nachvollziehbare Weise unterstützt.“

Mit Hilfe von Computersimulationen können unterschiedliche Impfungen, unterschiedliche Strategien und unterschiedliche politische Entscheidungsmöglichkeiten analysiert und vor allem verglichen werden. Dieses System kann laufend verbessert werden: Je mehr Erfahrung gesammelt wird, je mehr wissenschaftliche Daten bekannt werden, umso treffsicherer werden auch die Simulationsrechnungen und Vorhersagen. „Wir wollten nicht einfach eine Studie publizieren und dann zwei Jahre später wieder von vorne anfangen“, sagt Niki Popper. „Das System muss sich laufend an neue Informationen anpassen können. Bestehende Unsicherheit aufgrund vorerst noch fehlender Informationen muss korrekt abgeschätzt werden können.“

Von Epidemiologie bis Gesundheitsökonomie

Unterschiedliche Impfungen miteinander zu vergleichen, ist eine schwierige Herausforderung, denn es gibt nicht die eine entscheidende Kennzahl, an der man ablesen kann, wie sinnvoll eine Impfung für die öffentliche Gesundheit ist. „Oft vergleicht man hier zwangsläufig Äpfel mit Birnen“, sagt Niki Popper. „Die eine Impfung kann vielleicht eine bestimmte Zahl von Todesfällen verhindern, eine andere verhindert neurologische Spätfolgen, die ebenfalls viel Leid und hohe Kosten mit sich bringen. Und welchen Zeitraum betrachtet man eigentlich – wenige Monate oder viele Jahre? Was davon nun besser ist, lässt sich nicht an einer Formel ablesen.“

Man kann aber – basierend auf moderner Simulationsforschung – Modelle entwickeln, die zumindest ein sehr viel klareres Bild der zu erwartenden Auswirkungen zeigen. Und die sind bei unterschiedlichen Krankheiten oft sehr unterschiedlich: So können etwa Impfungen gegen Influenza oder COVID innerhalb bestimmter Phasen eine hohe Zahl von Krankheitsfällen verhindern, aber sie bewirken keine Herdenimmunität in der Bevölkerung. Bei anderen Krankheiten kann es sein, dass eine Impfung zwar einen bestimmten Krankheitsstamm effektiv ausrottet, der Krankheitserreger aber rasch mutiert und in veränderter Form dann trotz der Impfung Schaden anrichtet. All das lässt sich simulieren.

Die neue digitale Infrastruktur soll aber über epidemiologische Berechnungen hinaus gehen: Auch die Gesundheitsökonomie wird eine zentrale Rolle spielen. Welche Einsparungen stehen den Kosten gegenüber? Was bedeutet eine Impfung für die Zahl von Krankenständen? Welche Art von Hospitalisierungen kann damit in welchem Ausmaß reduziert werden?

„In der Literatur findet man hochdetaillierte Analysen für ganz bestimmte Impfungen, aber die Möglichkeit, datenbasiert unterschiedliche Interventionen miteinander zu vergleichen, die ist neu“, sagt Niki Popper.

Kein Ersatz für Politik

Welche Schlussfolgerungen man aus diesen Ergebnissen zieht, wird auch weiterhin eine politische Entscheidung bleiben: Möchte man in erster Linie Todesfälle reduzieren? Oder Langzeitschäden? Oder die volkswirtschaftlichen Kosten minimieren? Darauf kann und soll das Computermodell keine Antwort geben.

„Die Entscheidung selbst hat immer mit Moral und Ethik zu tun. Aber wir wollen auf nachvollziehbare und transparente Weise die Faktenbasis liefern, auf der diese Entscheidungen dann von den zuständigen Gremien getroffen werden können“, sagt Niki Popper. „Wir wollen, dass sich die Öffentlichkeit darauf verlassen kann, dass nicht irgendwelche Einzelinteressen ausschlaggebend sind, sondern dass Entscheidungen auf Basis der aktuell besten wissenschaftlichen Daten getroffen werden.“

Mehr Daten für bessere Prognosen

Die erste Version des Simulationsmodells wurde vom Konsortium nun vorgestellt, es muss nun in den nächsten Jahren noch verfeinert und mit einer größeren Datenmenge versehen werden. „Für uns war das der wichtige erste Schritt, jetzt stehen wir vor zwei weiteren großen Herausforderungen. Die erste besteht im Aufbereiten von Daten: Je mehr Information wir für unsere Infrastruktur bekommen können – etwa Daten über Hospitalisierungen, Statistiken über verabreichte Medikamente, Daten über die Ausbreitung verschiedener Krankheiten – umso präziser und aussagekräftiger wird unser Modell“, erklärt Niki Popper. „Die zweite Herausforderung wird es sein, eine Vielzahl unterschiedlicher Player aus dem Gesundheitssystem zusammen zu bringen. Ganz unterschiedliche Sichtweisen und ganz verschiedene wissenschaftliche Zugänge müssen hier kombiniert werden. Das optimale Ergebnis bekommen wir nur durch Interdisziplinarität.“

Rückfragehinweis

Dr. Niki Popper
Institut für Stochastik und Wirtschaftsmathematik
Technische Universität Wien
+43 1 58801 194104
nikolas.popper@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
Kommunikation
Technische Universität Wien
+43 664 60588 4127
florian.aigner@tuwien.ac.at