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„Wir können als Institution viel bewegen!“ Brigitte Ratzer und Dinah Gaffal im Interview.

Die ehemalige und die derzeitige Leiterin der Abteilung Genderkompetenz an der TUW sprechen über Leitungsaufgaben, Frauen- und Genderpolitik an der TUW, die Schwerpunkte ihrer Arbeit und Geschlechtergerechtigkeit.

Dinah Gaffal und Brigitte Ratzer auf orangen Fauteuils sitzend. Im Hintergrund ein Screen mit dem Hauptgebäude der TUW.

Brigitte Ratzer und Dinah Gaffal im Interview

Die Abteilung Genderkompetenz besteht an der TU Wien seit knapp 20 Jahren. Brigitte Ratzer war die erste Leiterin dieser Abteilung und hatte diese Funktion bis Anfang 2023 inne. Dinah Gaffal übernahm 2023 die Leitung von ihr, zuerst interimistisch, seit 2024 fix. Die beiden Frauen erzählen im Interview, wie sich die Gesellschaft und die Herausforderungen auf dem Weg zur gesellschaftlichen Gleichstellung der Geschlechter im Laufe der Zeit verändert haben und wo sie ihre Schwerpunkte setzen und setzten. Daneben sprechen sie über Teamführung und Rollenwechsel. 

Brigitte Ratzer, Sie haben die Abteilung Genderkompetenz fast 20 Jahre lang geleitet. Was waren zu Beginn die größten Herausforderungen und wie hat sich ihre Arbeit über die Jahre verändert?

Die größte Herausforderung zu Beginn meiner Arbeit war, dass niemand das Thema Gender Equality – damals war der Wortlaut noch Frauenförderung – für relevant gehalten hat. Die Abteilung war etwas, das man laut Universitätsgesetz haben musste. Die allgemeine Vorstellung war, dass am besten eine kleine Gruppe von Frauen etwas für andere Frauen tun sollte und dass sich sonst niemand für das Thema interessieren musste. Im Laufe der Jahre hat sich das sehr geändert. Es gab ein sichtbares starkes Commitment des vorigen Rektorates für das Thema. An den Fakultäten und in den zentralen Bereichen wurden zahlreiche Maßnahmen etabliert, die zu einer Bewusstseinsänderung und einem Wissensaufbau führten. Letztlich wurde auch durch äußere Faktoren – Stichwort Forschungsförderung – klar, dass Genderkompetenz an einer modernen Universität nicht „nice to have“ sondern „must have“ ist. Unser Spektrum hat sich demgemäß auch um ein beachtliches Lehrangebot und fachliche Beratung für Forschungsprojekte erweitert. Zuletzt habe ich mich im Rahmen des EU Projektes GEECCO stärker auf das Thema Gender in der Forschung konzentriert.

Brigitte Ratzer, warum haben Sie die Leitung der Abteilung Genderkompetenz zurückgelegt?

Über beinahe 20 Jahre habe ich an der TU Wien diesen Themenbereich maßgeblich geprägt. Ich bin stolz auf das, was in dieser Zeit gelungen ist. Ich bin aber auch der festen Überzeugung, dass es gerade jetzt Zeit für einen Generationenwechsel ist. Unser Wissen zu Geschlechterdiversität hat sich weiterentwickelt, ebenso verlangen bisher wenig beachtete Themen wie geschlechtsbasierte Gewalt aktuell viel Aufmerksamkeit. Damit werden neue Strategien notwendig und da ist es ein immenser Vorteil, dass jetzt jüngere Kolleg_innen mit aktuellem Fachwissen hier sind. Und es ist auch schön, dass damit eine andere Art, Dinge anzugehen hereinkommt, ein anderer, unverbrauchter Blick und frischer Mut für neue Themen.

So wie ich die Möglichkeit hatte, meine Konzepte ganz eigenständig zu entwickeln, so will ich das auch für meine Nachfolgerin haben. Selbstverständlich stehe ich mit meinem Wissen und meiner Erfahrung dem Team der Abteilung Genderkompetenz zur Seite. Aber es ist auch ganz klar, dass ich mich nicht einmische, welche strategischen Entscheidungen und inhaltlichen Weichenstellungen letztlich getroffen werden.

Dinah Gaffal, was hat Sie dazu bewogen, die Leitung der Abteilung Genderkompetenz zu übernehmen?

Es war natürlich eine große Herausforderung als ich gefragt wurde, ob ich mir die Leitung der Abteilung vorstellen kann, weil ich erst ganz kurz an der TU war und das Haus und die Kultur hier erst kennengelernt habe. Aber ich bin ein Mensch, der gerne Verantwortung übernimmt und Struktur gibt, ein gutes Gefühl für Gruppendynamiken und soziale Gefüge hat und für das Thema Gender Equality brennt. Und daher habe ich mich dann entschieden diese Stelle anzunehmen bzw. mich darauf zu bewerben, um mich für das einzusetzen, was mir wichtig ist: ein starkes, resilientes und kooperatives Team, das sich gegenseitig unterstützt und auf Augenhöhe begegnet und ein Kulturwandel hin zu mehr intersektionaler Geschlechtergerechtigkeit und Diversität auf der TU Wien.

Dinah Gaffal, welche Schwerpunkte haben Sie im letzten Jahr gesetzt und was ist Ihnen für die kommenden Jahre wichtig?

Im letzten Jahr ging es für mich als Führungskraft erst einmal darum, mit meinem Team gemeinsam in der neuen Situation anzukommen. Es ging um Teambuilding und darum alte hilfreiche Strukturen zu wahren und neue Strukturen zu etablieren, dort, wo sie erwünscht und notwendig waren. Thematisch lag mein Schwerpunkt auf dem Thema Sexismus und sexuelle Belästigung und der Strategieentwicklung für den Umgang damit. Dieser Themenbereich und die Sensibilisierung und der Umgang damit wird uns auch die nächsten Jahre noch beschäftigten. Generell ist mir die Bewusstseinsbildung zu Gender- und Diversitätsthemen weiterhin wichtig: Gender- und Diversitätskompetenz als Teil der Führungskultur, in Berufungskommissionen, unter Lehrenden, Mitarbeitenden und bei Studierenden zu etablieren ist das Ziel, um einen umfassenden Kulturwandel zu erreichen. Dazu bauen wir unsere Formate und Beratungen aus und entwickeln sie weiter. Zudem werden wir auch Themenbereiche wie Frauengesundheit stärker an der TUW verankern.

Was ist das Besondere an der Arbeit für eine Universität, und genauer: für eine technische Universität?

Brigitte Ratzer: Das Besondere an der Arbeit innerhalb der MINT Fächer sind für mich die überholten, aber sehr hartnäckigen Vorstellungen, dass Frauen und Technik nicht zusammenpassen. Universitäten sind zudem ganz besondere Plätze in der Gesellschaft. Sie sind dynamische Orte und haben in vieler Hinsicht auch eine Vorreiterrolle. Das macht es doppelt spannend, sich dem Thema Frauen und Technik hier zu widmen.

Dinah Gaffal: Ja ich schließe mich Brigitte an. Wir befinden uns in einem männerdominierten Umfeld, das von vielen Stereotypen zum Thema Geschlecht und Technik, aber auch von der männlichen Konnotation der Wissenschaft geprägt ist. Das macht es anstrengend, aber auch interessant hier Vorstellungen aufzubrechen und Neues zu etablieren. Dadurch dass Universitäten Wissen(schaft) produzieren und lehren und damit Einfluss auf so viele Menschen und Gesellschaft haben, ist es aber auch ein wunderbarer Hebel für gesellschaftlichen Wandel. Wir können als Institution viel bewegen.

Und abschließend an Sie beide: Was wünschen Sie sich für unsere Gesellschaft?

Brigitte Ratzer: Ich will Technologien, die gezielt zur Verringerung gesellschaftlicher Ungleichheiten beitragen und die allen Menschen, Tieren und der Umwelt dienen. Naturwissenschaft und Technik prägen unsere Gesellschaften maßgeblich. In meiner Zeit als Assistentin am Institut für Technik und Gesellschaft habe ich sehr viel über soziale Aspekte von Technologieentwicklung gelernt. Technologien aus feministischer Sicht zu betrachten, bedeutet zu analysieren, ob und wie Technologien derzeit eingeschränkten Gruppen und begrenzten Interessen dienen. Das ist auch ein Effekt davon, dass zu wenige Frauen – und auch andere gesellschaftliche Gruppen – an der Entwicklung von Technologien beteiligt sind. Wir brauchen also möglichst diverse Ingenieur_innen, und wir brauchen mehr Wissen darüber, wie wir Technologien so gestalten können, dass sie der gedeihlichen Weiterentwicklung von Gesellschaft und Umwelt dienen. Das wünsche ich mir für unsere Gesellschaft.

Dinah Gaffal: Ich wünsche mir, dass immer mehr Menschen verstehen, dass intersektionaler Feminismus sich nicht gegen Männer wendet und diese auch nicht diskriminiert, sondern die Gleichstellung aller Menschen zum Ziel hat. Geschlechtergerechtigkeit ist ein Menschenrecht. Und ich wünsche mir gerade jetzt in Zeiten von Backlash, Demokratieabbau und Rechtsruck, dass das Bewusstsein in der Gesellschaft dafür rapide steigt, dass Gender Equality uns alle betrifft und uns allen hilft. Sie ist der Teil der Grundlage für so ziemlich alles, was den Fortbestand der Menschheit und Erde gewährleistet und damit ein mächtiger Hebel für gesellschaftlichen Wandel. Wir wissen z.B. dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Gender Equality, Unterdrückung und Kriegen gibt. Frieden geht nicht ohne Gender Equality und das sollte uns in Zeiten wie diesen zu denken geben. Aber auch Wohlstand, Armutsbekämpfung, Gesundheit, Sicherheit, Schutz, Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Bildung – all diese Aspekte eines guten Lebens für alle sind eng mit Gender Equality verknüpft und nicht ohne diese zu erreichen. Wenn wir eine gute Lebensgrundlage für kommende Generationen schaffen wollen, geht das nicht ohne Gender Equality – und genau das wünsche ich mir für unsere Gesellschaft.

 

Dr. Brigitte Ratzer leitete von 2005–2022 die Abteilung Genderkompetenz der TU Wien. Sie war Frauenreferentin und Vorsitzende der Hochschüler_innenschaft an der TU Wien und Mitglied im Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen. Sie studierte Technische Chemie und promovierte in Sozialwissenschaftlicher Naturwissenschafts- und Technikforschung.

 

Dinah Gaffal, BA MSc, ist seit 2023 Leiterin der Abteilung Genderkompetenz an der TU Wien. Sie studierte Kultur- und Sozialanthropologie (Bachelor) an der Universität Wien, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster, ihren Masterabschluss zum Thema Gender Biases in Auswahlverfahren hat sie in Sozioökonomie an der WU Wien, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster absolviert.

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