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Wasserwellen und Quantensplitter

Wasserwellen in einem Glas sind etwas ganz anderes als die Scherben, in die das Glas zerbricht. Aber in der Quantenphysik ultrakalter Atome ist beides verwandt, zeigt eine Studie mit Beteiligung der TU Wien und der Universität Wien.

Ein Bose-Einstein-Kondensat (oben), das Faraday-Wellen zeigt (Mitte) und schließlich in Einzelteile zerfällt (unten).

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Ein Bose-Einstein-Kondensat (oben), das Faraday-Wellen zeigt (Mitte) und schließlich in Einzelteile zerfällt (unten).

Optische Bank an der Rice University (USA)

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Optische Bank an der Rice University (USA)

Wenn man ein Wassergefäß sanft schüttelt, werden an der Wasseroberfläche charakteristische Wellenmuster sichtbar – man bezeichnet sie als „Faraday-Wellen“. Denselben Effekt konnte ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der TU Wien nun auch in einer Wolke ultrakalter Atome nachweisen. Allerdings gibt es hier noch eine bemerkenswerte Besonderheit: Unter bestimmten Bedingungen kann man die Atomwolke dazu bringen, auf zufällige, unvorhersagbare Weise zu zerbrechen, wie ein Glas, das in Scherben zersplittert. Diesen spontanen Zerfall nennt man „Granulation“. Aus dem Zusammenhang zwischen den Faraday-Wellen und der Granulation kann man einiges über komplizierte quantenphysikalische Vielteilchen-Phänomene lernen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Physical Review X“ publiziert.

Zufall oder nicht?

„Granulation ist normalerweise ein Zufallsprodukt, das man bei festen Körpern beobachtet – wie das Zerbrechen von Glas oder das Pulverisieren eines Steins in unterschiedlich große Körner“, sagt Axel Lode, der am Atominstitut der TU Wien und am Wolfgang Pauli Institut an der Uni Wien arbeitet. „Faraday-Wellen hingegen sind nicht zufällig. Bei ihnen handelt es sich um regelmäßige, stehende Wellen, die immer wieder genau gleich aussehen, wenn man eine Flüssigkeit auf dieselbe Weise schüttelt.“

Erstaunlicherweise lassen sich aber die quantenphysikalischen Versionen beider Phänomene in ein und demselben Quantensystem hervorrufen. Dafür verwendete man eine Wolke von Lithium-Atomen. Sie werden zunächst bis knapp über den absoluten Nullpunkt gekühlt, sodass sie einen gemeinsamen Quantenzustand annehmen und ein sogenanntes „Bose-Einstein-Kondensat“ bilden.

Durch ein schwaches, langsam oszillierendes Magnetfeld kann man in diesem Bose-Einstein-Kondensat Faraday-Wellen erzeugen – auf klar vorhersagbare und wiederholbare Weise. „Wenn man dieses Magnetfeld allerdings verstärkt und gleichzeitig seine Frequenz senkt, passiert etwas Erstaunliches“, berichtet Axel Lode. „Die Atomwolke zerbricht an zufälligen Positionen.“ Aus dem Kondensat, in dem alle Atome streng quantenphysikalisch miteinander verbunden sind und exakt im gleichen Takt schwingen, werden unterschiedliche Quanten-Körner, deren Größe und Position vom Zufall bestimmt ist.

Gemessen wurde das an der Rice University in Houston, Texas, mit Unterstützung von Forschungsteams aus Brasilien und Österreich. „Es wurden sogenannte single-shot-Bilder aufgenommen, also, ganz simpel gesagt, Fotos vom Quantenzustand der Atomwolke“, erklärt Axel Lode. So lange sich im Kondensat Faraday-Wellen ausbildeten, sahen diese Bilder jedes Mal gleich aus. Doch wenn es zur Granulation kommt, sieht das Bild immer völlig anders aus, auch wenn man das Experiment völlig gleich durchführt.

Computersimulation der Quantenkorrelationen

Das hat mit Quantenkorrelationen zu tun – mit den komplizierten Zusammenhängen zwischen Quantenteilchen, die sich mathematisch nur sehr schwer beschreiben lassen. Axel Lode entwickelte an der TU Wien die nötige Software, um das Vielteilchensystem mit seinen Quantenkorrelationen zu beschreiben und so die Messergebnisse korrekt deuten zu können. Das Verhalten von Quanten-Vielteilchensystemen gehört nach wie vor zu den großen ungelösten Rätseln der Physik. Zwar ist die Gleichung bekannt, an die sich die Quantenteilchen zu halten haben – nämlich die Schrödingergleichung, doch machen die Quantenkorrelationen den Zustand der Teilchen viel zu kompliziert, als dass man ein System von hunderten oder gar tausenden Quantenteilchen exakt beschreiben könnte. Zu klären, wie Quantensysteme aus Teilsystemen aufgebaut sind, wie sie miteinander zusammenhängen und wie ein großes System in kleinere, unabhängige Teile zerfallen kann, spielt für die Forschung an den Grundlagen der Physik daher eine wichtige Rolle. Die Forschungsarbeit wird an der TU Wien weiter fortgesetzt: Axel Lode leitet nun ein vom FWF finanziertes Einzelprojekt, das weitere Rätsel rund um diese Vielteilchensysteme lösen soll. 

Näheres zum Projekt:

http://ultracold.org, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Originalpublikation:

J. Nguyen et al., Phys. Rev. X 9, 011052 (2019) http://dx.doi.org/10.1103/PhysRevx.9.011052 , öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Kontakt:

Dr. Axel Lode
Atominstitut
Technische Universität Wien
axel.lode@tuwien.ac.at

Aussender:

Dr. Florian Aigner
PR und Marketing
Technische Universität Wien
Resselgasse 3, 1040 Wien
T: +43-1-58801-41027
florian.aigner@tuwien.ac.at