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GESTU - gehörlos und schwerhörig erfolgreich studieren

Vom Pilotprojekt zur Kompetenz- und Servicestelle.

Gruppenfoto

© TU Wien / Matthias Heisler

Die GESTU Servicestelle an der TU Wien: Leiter Georg Edelmayer, Marielene Hamp, Ines Batrina, Aniko De Pasqualin und TUW-Behindertenbeauftragte Nicole Kretschy (von links)

Seit fast 15 Jahren gibt es an der TU Wien die Anlaufstelle GESTU für gehörlose und schwerhörige Studierende. Im Gespräch verrät uns Leiter Georg Edelmayer, was sich hinter dieser Servicestelle verbirgt, gibt Einblick in die Aufgaben und erklärt, warum sie auch heute noch eine wichtige Einrichtung im Hochschulalltag ist.

 

Seit wann gibt es GESTU?

Georg Edelmayer (GE): GESTU hat im Juni 2010 als Pilotprojekt gestartet, damals unter der Leitung von Wolfgang Zagler und der damaligen Behindertenbeauftragten der TU Wien, Marlene Fuhrmann-Ehn, am Institut "integriert studieren" der TU Wien. Im Juni 2025 können wir somit das 15-jährige Bestehen feiern.

Das Interesse an der Servicestelle war von Beginn an recht groß und daher wurde bereits nach etwas mehr als zwei Jahren nach dem Beginn des Pilotprojekts, Ende 2012, GESTU im Rahmen der Leistungsvereinbarungen der TU Wien als Servicestelle für gehörlose und schwerhörige Studierende als fixe Einheit verankert. Bis heute nehmen Studierende unsere Angebote gerne und zahlreich in Anspruch. Wir sind eine wichtige Stütze für gehörlose und schwerhörige Studierende mit dem Bestreben ein ordentliches Studium zu absolvieren. Nur zum Vergleich: In der Schule, wo gehörlose und schwerhörige Kinder und Jugendliche ebenfalls Unterstützung benötigen würden, fehlt diese ganz oder ist zumindest nicht im notwendigen Ausmaß vorhanden. Umso erfreuter sind die Studierenden, dass sie an den Hochschulen in Wien durchgehend Unterstützung bekommen. Durch die Servicestelle wird den Studierenden unter anderem eine enorme finanzielle und administrative Belastung abgenommen. Auch in anderen Bundesländern gibt es Angebote, aber als hochschulübergreifende Stelle ist das GESTU-Konzept einzigartig in Österreich, ja sogar in Europa. Anzumerken ist, dass es seit 2 Jahren auch eine Servicestelle GESTU an der TU Graz, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster gibt.

Der Name GESTU steht übrigens für "Gehörlos und Schwerhörig Erfolgreich Studieren“.

 

Wer kann sich an GESTU wenden?

GE: GESTU ist eine Kompetenz- und Servicestelle und steht Studierenden eines ordentlichen Studiums aller Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen in Wien zur Verfügung.

 

Wofür ist GESTU zuständig und wofür nicht?

GE: Unsere Aufgaben sind sehr vielfältig. Zuständig sind wir für Studierende aller Hochschulen in Wien, die gehörlos oder schwerhörig sind und ein Bachelor-, Master-, Diplom- oder Doktoratsstudium machen. Wenn ich „unsere“ sage, meine ich übrigens das mittlerweile 4-köpfige GESTU-Team.

Aber zurück zu den Aufgaben. An allererster Stelle steht das Beratungsgespräch mit betroffenen Studierenden bei Unterstützungsbedarf. Damit erfassen wir sozusagen die Ist-Situation. Darauf aufbauend stellen wir unsere Unterstützungsangebote vor, wie die Vermittlung von Gebärdensprach- und Schrift- Dolmetscher_innen, und Lernbuddys/Tutor_innen sowie technische Unterstützung wie beispielsweise Raummikrofone. Mittlerweile haben wir einen ziemlich großen Pool an Dolmetscher_innen, aus denen die Studierenden wählen können. Dolmetschen vor Ort in der Lehrveranstaltung wird von vielen Studierenden bevorzugt. Bei Online-Lehrveranstaltungen wird remote gedolmetscht. Aber auch bei Präsenzveranstaltungen können sich Dolmetscher_innen online zuschalten. Schrift-Dolmetscher_innen übernehmen zusätzlich, falls nötig, das Verschriftlichen von Filmen und Videos.

Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Sensibilisierung der Vortragenden. Vielen Menschen ist nicht bewusst, wie stark die „hörende Welt“ unsere Studierenden einschränkt. Wenn Vortragende beispielsweise zuerst an die Studierenden gewandt sprechen und sich dann zur Tafel umdrehen, um etwas aufzuschreiben, dabei aber weitersprechen, ist es für Studierende mit Hörbeeinträchtigung nicht mehr möglich, der Vorlesung zu folgen.

In unserer Arbeit bekommen wir auch Unterstützung von der TUW-Behindertenbeauftragten Nicole Kretschy beispielsweise, wenn es darum geht, dass es aufgrund der Hörbehinderung notwendig ist die Prüfungszeit zu verlängern.

Nicht zuständig sind wir hingegen für die Suche nach Gebärdensprach- oder Schrift-Dolmetscher_innen für öffentliche Veranstaltungen an der TU Wien. Aber wir helfen natürlich gerne bei der Kontaktvermittlung, da wir, wie bereits gesagt, über einen großen Pool an Dolmetscher_innen verfügen.

 

Wie kann man sich als Laie die Gebärdensprache vorstellen?

GE: Die Gebärdensprache ist eine vollwertige, offiziell anerkannte Sprache mit eigener Grammatik und auch mit Dialekten. Ob jemand aus der Steiermark, aus Kärnten oder aus Wien gebärdet, merkt man genauso wie in der gesprochenen Sprache am Dialekt. Wichtig: Der richtige Begriff, wenn sich jemand in Gebärdensprache unterhält, heißt „er oder sie gebärdet“. Nicht verwenden soll man hingegen die Worte „gestikulieren“ oder „fuchteln“. Vor allem „fuchteln“ ist ein „böses Wort“, weil es die Vollwertigkeit der Gebärdensprache missachtet.

Die Österreichische Gebärdensprache kann jeder Mensch genauso lernen wie jede andere Sprache auch. Es gibt Sprachkurse, die im Aufbau den bekannten A1, B1, C1 Modulen folgen. Wenn TU-Wien Mitarbeiter_innen sich näher mit dem Thema Gebärdensprache beschäftigen wollen, wird im Rahmen des internen Weiterbildungsprogramms ein Grundkurs für Österreichische Gebärdensprache angeboten sowie zwei Mal pro Semester das ÖGS-Café, ein gemütliches Zusammentreffen für all jene, die die Gebärdensprache schon ein wenig beherrschen. Studierende haben die Möglichkeit, sich im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit diesem Thema zu befassen.

 

Gibt es besondere Projekte, an denen GESTU derzeit arbeitet bzw. sind spannende Projekte für 2025 geplant?

GE: In der Vergangenheit haben wir beim Erasmus+-Projekt “Language Skills of Deaf Students for International Mobility" mitgemacht. Das Projekt hatte zum Ziel, die Fremdsprachenkenntnisse gehörloser und schwerhöriger Studierender zu fördern. Ein weiteres Erasmus+-Projekt war „Sign Languages Dictionary as a Tool for Language Education and European Mobility of Deaf Students”. Im Rahmen dieses Projekts wurde ein multilinguales Online-Gebärdensprachwörterbuch erstellt, das es ermöglicht nach Vokabel verschiedener nationaler Gebärdensprachen und Lautsprachen zu suchen.

In Zusammenarbeit mit der TU Graz wird an einer Fachgebärdensammlung gearbeitet. Eine Art Fachwörterbuch für Studierende, welches seit Jahren kontinuierlich erweitert wird. Darin versuchen Studierende, Wörter und Begriffe, die für ihr Studium wichtig sind, zu denen es aber noch keine entsprechende Gebärde gibt, zu gebärden. Die Gebärden werden dann verfilmt und auf der ÖGS-Fachgebärden-Plattform-Webseite, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster gesammelt. Derzeit umfasst das Werk ungefähr 3.500 Gebärden.

Danke für das Gespräch.

 

Interview: Sonja Murczek

 

Über Georg Edelmayer

Georg Edelmayer hat an der TU Graz Medizintechnik studiert. Seit 1995 arbeitet er in unterschiedlichen Rollen an der TU Wien. Unter Wolfgang Zagler startet er im Bereich Reha- und Assistierende Technologien, bevor er 2010 Teil des GESTU-Teams wurde. Seit 2022 leitet er die Servicestelle GESTU, seit 2024 den Fachbereich Student Inclusion. Außerdem arbeitet er als externer Vortragender u.a. an der BOKU und der FH Wien.

 

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