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Nachgefragt: Genderkompetenz. Dinah Gaffal im Interview

Dinah Gaffal leitet 2023 die Abteilung Genderkompetenz an der TU Wien. Im Interview spricht sie darüber, was Genderkompetenz überhaupt ist sowie ihre Ziele, Hoffnungen und Herausforderungen in diesem Bereich.

Dinah Gaffal, lächelnd, mit schwarzem Pullover, links im Vordergrund der verschwommene Zweig einer Palme.

© TUW

Dinah Gaffal, interimistische Leiterin der Abteilung Genderkompetenz 2023.

Die Technische Universität Wien hat das Ziel, allen Geschlechtern gleiche Möglichkeiten und Chancen zu bieten und hat daher u.a. die Abteilung Genderkompetenz eingerichtet. Dinah Gaffal leitet diese Abteilung seit Jänner 2023 für ein Jahr (als Vertretung der langjährigen Leiterin Brigitte Ratzer). Im Interview spricht sie über ihr Verständnis von Genderkompetenz und die Schwerpunkte ihrer Arbeit.

Was ist Genderkompetenz, Frau Gaffal?

Dinah Gaffal: Für mich bedeutet Genderkompetenz Wissen, Sensibilität und auch Bewusstsein über die Konstruktion von Geschlechterrollen und die daraus resultierenden Geschlechterverhältnisse zu haben. Es bedeutet im Alltag – egal ob privat oder beruflich – Genderdimensionen zu erkennen und gleichstellungsorientiert zu handeln; und zwar nicht nur im Hinblick auf Gender, also das soziale Geschlecht, sondern intersektional gedacht. Damit meine ich, dass auch Diversitätsdimensionen wie z.B. Alter, Ethnizität, Hautfarbe, soziale Herkunft, Behinderung oder sexuelle Orientierung berücksichtigt werden.

Genderkompetenz beinhaltet für mich auch eine Fähigkeit: diese scheinbar natürliche Gegebenheit von Geschlechterrollen und die damit verbundenen Machtstrukturen und Privilegien zu hinterfragen. Dabei muss man auch aushalten, sich selbst und das eigene Verhalten in Frage zu stellen. Genderkompetenz erfordert für mich Selbstbeobachtung und viel, viel Reflexionsvermögen und den Willen sich mit Gender- und Diversitätsthemen nicht nur zu befassen, sondern sich wirklich damit auseinanderzusetzen.

Was macht Sie genderkompetent?

DG: Mich macht die langjährige und intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Gender und Diversität, die ständige Reflexion darüber und regelmäßige Austausch darüber genderkompetent. Diese Auseinandersetzung findet und fand zum einen auf einer intellektuellen Ebene durch mein Studium der Kultur- und Sozialanthropologie und meinen Master in Sozioökonomie statt. Ich habe in beiden Studiengängen einen Schwerpunkt auf die Genderdimensionen verschiedener Themenbereiche gelegt und mich in meiner empirischen Masterarbeit z.B. mit Gender Biases in Auswahlverfahren beschäftigt. Außerdem lese und diskutiere ich ständig dazu.
Zum anderen findet diese Auseinandersetzung auch ganz praktisch statt: tagtäglich in meinen persönlichen Beziehungen, natürlich auch in meinem Beruf und Alltagserleben. Das sind ständige Aushandlungsprozesse von Genderrollen und Geschlechterverhältnissen und Machtverteilung. Da kann alleine schon eine U-Bahn-Fahrt ein großes Übungsfeld sein.
Und ich habe viel von wirklichen tollen und erfahrenen Menschen, die sich für Gendergerechtigkeit engagieren, lernen dürfen und habe die Bereitschaft mich stetig weiter zu entwickeln und dazuzulernen.

Was ist für Sie das wichtigste Thema im Bereich Genderkompetenz?

DG: Genderkompetenz kann auch sehr anstrengend sein, da man ständig mit Widerständen zu tun hat und den Status quo in Frage stellt. Man braucht Durchhaltevermögen, Kämpfer_innengeist, Kraft, Zuversicht, viel Geduld, Empathie und Nachsicht, um Veränderung zu schaffen. Und ganz wichtig – Humor, sonst geht es nicht. Daher ist Selbstfürsorge in diesem Bereich in meinen Augen besonders wichtig. Auch Grenzen setzen können, mit Energien haushalten lernen, sich Unterstützung holen, Verbündete haben. Gender ist immer auch ein persönliches Thema, weil es Teil unserer Identität ist und da ist es wichtig, gut auf sich zu schauen.
Wir sollten zudem immer im Hinterkopf behalten, dass das für uns alle ein Lernfeld ist und wir Fehlertoleranz anderen gegenüber, aber vor allem auch uns selbst gegenüber brauchen. Wir schaffen gemeinsam gesellschaftlichen Wandel und niemand weiß noch, wie das richtig geht. Wir können uns alle nur vortasten und ausprobieren – und das mit Wohlwollen und einem gemeinsamen Ziel: eine gerechtere Welt für alle. Uns gegenseitig zu zerfleischen, bringt uns da nicht weiter.

Was sind die Herausforderungen für die Abteilung Genderkompetenz an der TU Wien?

DG: Die TU Wien ist mit ca. 33 Prozent sich als weiblich identifizierenden Studierenden und ca. 16 Prozent sich als weiblich identifizierenden Professorinnen natürlich ein spezielles Feld. Es hat sich viel bewegt die letzten Jahre und wir haben wesentlich mehr weibliche Studierende und Professorinnen als noch vor einigen Jahren. Aber wir haben noch einiges an Arbeit vor uns, denn Technik und das Bild des „Ingenieurs“ sind in unserer Gesellschaft immer noch sehr männlich konnotiert. Das wirkt sich auf die Interessen und Studienwahl von jungen Menschen aus. Realistischerweise können wir das auf der TU nur bedingt verändern, aber wir können weiter eine Kultur schaffen, in der Gleichbehandlung, Inklusion, Diversität, Gender Equality und Gender Equity gelebt werden. Und hier meine ich alle Gender, nicht nur rein binär Männer und Frauen.
Seit es die Abteilung gibt, wurde bereits viel erreicht und ein Bewusstseinswandel eingeleitet, den es fortzuführen gilt. Im Moment habe ich das Gefühl, dass das Thema präsent ist und weniger Widerstände da sind. Ich begegne großer Offenheit für Wandel; die meisten Menschen sind dankbar, wenn man sie an die Hand nimmt und Wege aufzeigt, wie Genderkompetenz an der TU weiter umgesetzt und noch tiefer verankert werden kann.

Welche Schwerpunkte haben Sie sich für das kommende Jahr vorgenommen?

DG: Für das Jahr 2023 ist ein Schwerpunkt meiner Arbeit an der TU Wien eine Strategieentwicklung zum Thema Sexismus und sexuelle Belästigung. Das steht für mich gerade im Mittelpunkt, da ich es als Grundlage für ein faires Miteinander sehe.
Ansonsten entwickle ich die von Brigitte Ratzer eingeführten Anti-Bias-Trainings weiter, also Bewusstseinsbildungs- und Sensibilisierungsarbeit im Bereich Gender-Biases für Erstsemestrige, Berufungskomissionen und Führungskräfte. Mir persönlich liegen die Zusammenarbeit und die Unterstützung der feministischen Netzwerke an der TUW auch sehr am Herzen, weil sie wichtige Arbeit machen. Da gab es ja bereits die Podiumsdiskussion Athene Unbound im Rahmen der TUesdayLounge und ich habe einige Workshops z.B. mit FemTUme, dem Frauennetzwerk der Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften, gehalten.
Im Bereich Lehre wünschen wir uns für 2023, dass das Gender- und Diversitätskompetenz-Zertifikat weiter so gut angenommen wird und viele Studierende die dafür vorgesehenen Lehrveranstaltungen und E-Learnings absolvieren, damit wir immer mehr genderkompetente Studierende auf der TU haben.

 

Dinah Gaffal, BA MSc ist interimistische Leiterin der Abteilung Genderkompetenz an der TU Wien für 2023 (Vertretung Brigitte Ratzer). Sie ist gebürtige Südtirolerin, aufgewachsenen in Süddeutschland und kam für ihr Studium nach Wien. Sie hat einen Bachelor in Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster und einen Master in Sozioökonomie an der WU Wien, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster gemacht. Ihre Masterarbeit hat sie zu Gender Biases in Auswahlverfahren verfasst.

Interview: Edith Wildmann