Zwei START-Preise für die TU Wien

Die Chemikerin Esther Heid und der Mathematiker Juan Aguilera werden vom FWF mit dem START-Preis ausgezeichnet. Damit gehen zwei der acht diesjährigen Preise an die TU Wien.

zwei Portraitfotos

© FWF/Ulrich Zinell

Esther Heid und Juan Aguilera

Chemische Reaktionen vorhersagen mit Machine Learning, und die Grenzen der mathematischen Beweisbarkeit ergründen – zwei große, zukunftsweisende Forschungsvorhaben werden an der TU Wien nun mit Hilfe einer START-Preis-Förderung des Wissenschaftsfonds FWF in Angriff genommen. Der START-Preis ist die wichtigste österreichische Auszeichnung für Menschen in einem frühen Stadium ihrer wissenschaftlichen Karriere. Die Chemikerin Esther Heid (Institut für Materialchemie) und der Mathematiker Juan Aguilera (Institut für Diskrete Mathematik und Geometrie) werden nun mit einer Förderung von jeweils rund 1,2 Millionen Euro ihre eigenen Forschungsgruppen aufbauen, um sich so in der internationalen Spitzenforschung zu etablieren.

„Dass gleich zwei der acht in diesem Jahr vergebenen START-Preise an die TU Wien gehen, ist ein sehr schöner Erfolg“, sagt Prof. Peter Ertl, Vizerektor für Forschung, Innovation und Internationales der TU Wien. „Wir freuen uns sehr, dass wir auf diese Weise unsere wissenschaftliche Stärke und Innovationskraft unter Beweis stellen können.“

Esther Heid: Mit Machine Learning zum virtuellen Chemie-Labor

Mit Versuch und Irrtum kommt man in der Chemie nicht weit. Längst nutzt man aufwändige Computersimulationen, um die Ergebnisse chemischer Reaktionen vorhersagen zu können. Bisher funktioniert das allerdings nur bei relativ einfachen chemischen Prozessen. Esther Heid will nun einen neuen, moderneren und mächtigeren Weg einschlagen: Sie macht Machine Learning für die theoretische Chemie nutzbar.

Computersysteme werden trainiert – anhand von Daten über chemische Reaktionen, die man bereits gut kennt, aber auch anhand der Ergebnisse von Experimenten, die eigens dafür durchgeführt werden. Dadurch soll das Machine-Learning-System dann auch mit möglichst großer Zuverlässigkeit einschätzen können, was von chemischen Reaktionen zu erwarten ist, die man bisher noch nicht in der Praxis erprobt hat. Esther Heid verbindet dabei ihre Fähigkeiten in der Chemie mit ihrer Erfahrung in Programmierung und Methodenentwicklung.

„Gerade für komplizierte chemische Prozesse mit großen Molekülen, die man theoretisch mit üblichen Methoden nur schwer berechnen kann, bringt Machine Learning große Vorteile“, sagt Esther Heid. Und genau solche Prozesse spielen für unsere Zukunft eine entscheidende Rolle: Die Biokatalyse zum Beispiel, die in der Medizin und der Pharmakologie von großer Bedeutung ist, aber auch die Entwicklung von Lebensmittelzusätzen oder Düngemitteln kann von den neuen Machine-Learning-Methoden profitieren.

Esther Heid studierte Chemie an der Universität Wien, wo sie 2019 auch promovierte. Danach arbeitete sie als Postdoc am MIT in den USA, bevor sie 2022 an die TU Wien wechselte. Schon in den vergangenen Jahren arbeitete sie intensiv an Machine-Learning-Methoden für die Chemie, durch den Aufbau eines eigenen Teams am Institut für Materialchemie der TU Wien wird sie diese Arbeit nun deutlich ausbauen und viel mehr Fragestellungen untersuchen können als bisher.

Juan Aguilera: Die Grenzen des Beweisbaren

„Wenn eine mathematische Aussage wahr ist, dann kann man sie beweisen. Und wenn sie falsch ist, dann kann man beweisen, dass sie falsch ist.“ Diese Auffassung galt vor gut hundert Jahren in der Welt der Mathematik als klare Tatsache – bis dann der österreichische Logiker Kurt Gödel zeigte, dass es doch nicht so einfach ist: Es kann mathematische Aussagen geben, die zwar wahr sind, die sich aber trotzdem ganz prinzipiell nicht beweisen lassen, ganz egal wie phantasievoll und hartnäckig man danach sucht.

Mit mathematischen Formeln kann man Aussagen über Zahlen machen. Man kann mit der Sprache der Logik aber auch auf abstrakterem Niveau arbeiten und formal Aussagen über die Mathematik selbst konstruieren – also Aussagen über das Treffen von Aussagen. Mathematische Schlussfolgerungen über das mathematische Schlussfolgern. Beweise über das Führen von Beweisen.

Kurt Gödel arbeitete dabei noch mit Papier und Bleistift, heute spielen Computermethoden auch in der formalen Beweistheorie eine zentrale Rolle. Juan Aguilera bewegt sich somit im Grenzgebiet von Mathematik und Computerwissenschaft. Er hat mit seinem Team selbst neue Ansätze entwickelt, mit denen nun genauer ergründet werden soll, welche Fragen überhaupt beweisbar sind. „Jetzt, genau in diesem Moment arbeiten möglicherweise tausende Leute auf der ganzen Welt an mathematischen Problemen, die unlösbar sind“, sagt Juan Aguilera. „Und wir haben keine Möglichkeit, ihnen zu sagen, dass sie unlösbar sind, weil wir nicht über die entsprechenden Werkzeuge verfügen. Wir möchten also diese Werkzeuge entwickeln, mit denen wir feststellen können, welche Probleme tatsächlich unlösbar sind, sodass wir unsere Bemühungen auf Probleme konzentrieren können, die gelöst werden können.“

Juan Aguilera studierte Mathematik an der TU Wien, wo er auch promovierte. 2023 folgte seine Habilitation, derzeit forscht er am Institut für Diskrete Mathematik und Geometrie. Dazwischen war er auch als Gastwissenschaftler an der Harvard University, der Rutgers University, der University of Cambridge und der Universität Hamburg tätig.

Rückfragehinweis

Dr. Esther Heid
Institut für Materialchemie
Technische Universität Wien
+43 1 58801 165310
esther.heid@tuwien.ac.at

Juan Aguilera
Institut für Diskrete Mathematik und Geometrie
Technische Universität Wien
+43 1 58801 - 104 382
juan.aguilera.ozuna@tuwien.ac.at

Text: Florian Aigner