Zwei „Frontiers of Science Awards“ für die TU Wien

Die beiden Mathematiker Farmer Schlutzenberg und Benjamin Siskind wurden unabhängig voneinander für ihre Beiträge zu fundamentalen Fragen der Mathematik ausgezeichnet.

zwei Portraitfotos

Benjamin Siskind (l) und Farmer Schlutzenberg

Manchmal geht es in der mathematischen Forschung darum, Lösungen für ganz bestimmte Aufgaben zu finden. Manchmal geht es darum, neue mathematische Objekte und Strukturen zu untersuchen. Manchmal geht es aber in der Mathematik auch um die Mathematik selbst: Man kann mathematisch erforschen, was man alles mathematisch erforschen kann. Man kann logisch untersuchen, welche logischen Fragen überhaupt eine Antwort haben können.

Mit solchen abstrakten Themen der Mathematik befasst man sich in der Arbeitsgruppe von Prof. Sandra Müller am Institut für Diskrete Mathematik und Geometrie. Gleich zwei Postdocs aus diesem Team wurden nun jeweils mit einem „Frontiers of Science Award“ ausgezeichnet. Dieser prestigeträchtige Preis wird jährlich für herausragende Leistungen auf den Gebieten Mathematik, Physik und Informatik vergeben.

Benjamin Siskind

Benjamin Siskind arbeitete gemeinsam mit seinem Kollegen Patrick Lutz von der UC Berkeley an Ideen, die auf den Computerpionier Alan Turing zurückgehen. Dabei geht es um das Problem der Berechenbarkeit: Alan Turing konnte zeigen, dass gewisse logische Fragen prinzipiell nicht beantwortbar sind – auch nicht mit den leistungsfähigsten Computern, die theoretisch möglich wären. Anhand dieser Überlegungen kann man mathematische Probleme in verschiedene Klassen aufteilen – in leicht lösbare, schwer lösbare, unlösbare Probleme. Diese Einteilung gehört zu den wichtigsten Aufgaben der mathematischen Komplexitätstheorie.

Aber was passiert, wenn man wie aus dem Nichts plötzlich trotzdem die Antwort auf eine nichtberechenbare Frage erhalten könnte? Wenn es eine Art „Orakel“ gäbe, eine undefinierte Black Box, die bestimmte Ergebnisse einfach in einem einzigen Rechenschritt liefern könnte – in einem sogenannten „Turing Jump“? Welche anderen Aufgaben wären dann lösbar, wenn man ein solches Orakel zur Verfügung hätte?

Siskind und Lutz konnten für bestimmte Funktionen zeigen, dass sie mit einem solchen Turing Jump erzeugt werden können. Die Methodiken, die sie dafür entwickelten, kombinieren die Forschungsgebiete Mengenlehre und Berechenbarkeitstheorie und eröffnen neue Möglichkeiten für weitere Resultate auf diesen Gebieten. „Das ist seit Jahrzehnten der größte Fortschritt in der Forschung an dieser Frage, die bereits seit den 1970erjahren untersucht wird“, sagt Sandra Müller. Auch wenn es in der Praxis solche Orakel nicht gibt, hat diese Forschung wichtige praktische Implikationen: Solche Berechenbarkeits-Überlegungen spielen etwa eine zentrale Rolle in der Kryptographie und in der Analyse, wie schwer verschiedene Verschlüsselungsverfahren zu knacken sind.

Farmer Schlutzenberg

Auch Farmer Schlutzenberg hat einen wichtigen Fortschritt in einer Frage erzielt, die seit Jahrzehnten großes Interesse in der Mathematik-Community weckt. Dabei geht es darum, was mit den üblichen Axiomen der Mengenlehre beweisbar ist – den sogenannten Zermelo-Fraenkel-Axiomen. Dabei handelt es sich um simple Grundannahmen, etwa „zwei Mengen sind genau dann gleich, wenn sie dieselben Elemente enthalten.“ Aus diesen simplen Grundannahmen kann man dann Schritt für Schritt viel kompliziertere Aussagen ableiten.

Eines dieser Axiome ist das sogenannte Auswahlaxiom: „Zu jeder Familie nicht-leerer Mengen kann man gleichzeitig aus jeder Menge ein bestimmtes Element auswählen.“ Das bedeutet, im Wesentlichen, dass es möglich ist, unendlich viele beliebige Entscheidungen zu treffen, ohne ein klar definiertes Verfahren für die jeweiligen Entscheidungen angeben zu müssen. Das hat überraschende Folgen. Für manche mathematische Beweise ist diese Annahme unerlässlich, andere mathematische Beweisführungen hingegen kommen auch ohne diese Annahme aus. Man unterscheidet daher zwischen dem Axiomensystem „Zermelo-Fraenkel mit dem Auswahlaxiom“ (ZFC – mit „C“ für „Choice“) und „Zermelo-Fraenkel ohne Auswahlaxiom“ (ZF). 

Nun kann man verschiedene Beziehungen und Abbildungen zwischen verschiedenen Mengen definieren. Man kann Abbildungen aus dem „Universum aller Mengen“ auf sich selbst untersuchen. Seit den 1970erjahren weiß man, dass bestimmte solche Abbildungen nicht mit ZFC vereinbar sind. Unklar war aber, ob sie mit ZF vereinbar sind. Schlutzenberg konnte zeigen, dass die Vereinbarkeit der Abbildungen mit ZF aus bestimmten anderen Annahmen folgt, die seit vielen Jahren in der Mengenlehre untersucht werden. „Ein wirklich bedeutender Schritt auf dem Weg zur Lösung einer seit Jahrzehnten offenen Frage“, sagt Sandra Müller.

Die beiden Preise werden im Juli feierlich überreicht – im Rahmen des International Congress of Basic Science in Beijing, China.

 

Text: Florian Aigner