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Prof. Meinhard Regler (1941-1924): Ein Nachruf

Die Technische Universität trauert um Prof. Meinhard Regler.

Porträt Meinhard Regler lachend in schwarz-weiß

© privat

Mit tiefer Trauer haben wir erfahren, dass Meinhard Regler am 22. September 2024 im Alter von 83 Jahren verstorben ist.

Er wurde in Wien geboren und verbrachte seine frühe Kindheit in Freiberg (Sachsen, Deutschland), wo sein Vater – ein Pionier der frühen Röntgentechnologie – Professor an der Bergakademie war. Nachdem die Familie das Ende des Zweiten Weltkriegs nur knapp überlebt hatte, kehrte sie 1947 nach Wien zurück, wo Meinhard Regler die Volksschule, das Lycée Français und das Akademische Gymnasium besuchte.

Ab 1960 studierte er Physik an der TU Wien und beschäftigte sich in seiner Masterarbeit am CERN mit der Beschleunigung von Deuteronen in einem Protonen-Linearbeschleuniger. 1966 trat Regler in das neu gegründete Institut für Hochenergiephysik (HEPHY) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ein. Er ließ sich in Genf nieder, um an einem Experiment zur Messung von ∆S/∆Q in Ke3-Zerfällen am PS teilzunehmen, und promovierte 1970 mit Auszeichnung an der TU Wien.

1970 wurde Meinhard Regler Mitarbeiter in der Abteilung Datenverarbeitung am CERN. Er beteiligte sich am Split-Field-Magnet-Experiment (SFM), dem damals größten elektronischen Detektor, am allerersten pp-Beschleuniger, den Intersecting Storage Rings (ISR). Als Koordinator von SFM verstand er das revolutionäre Potenzial von George Charpaks Erfindung, der Multiwire Proportional Chamber (MWPC), für eine präzise Nachführung. Gemeinsam mit HEPHY steuerte er spezielle MWPC-Designs für SFM bei. Da die Konfiguration des Magneten ein Albtraum für die Gleisrekonstruktion war (Nullfeld, aber maximaler Gradient an der Balkenkreuzung), erkannte er die Bedeutung rigoroser statistischer Methoden für die Spur- und Vertexanpassung – die zu dieser Zeit nur für Blasenkammern verwendet wurden – bei den aufstrebenden großen Tracking-Anlagen, was zu mehreren bahnbrechenden Arbeiten führte.

1975 entschied sich Regler, keine Karriere am CERN einzuschlagen. Stattdessen kehrte er als Leiter der experimentellen Abteilung des HEPHY nach Wien zurück. Von 1993 bis zu seiner Emeritierung Ende 2006 war er stellvertretender Direktor und Mitglied des 3-köpfigen Koordinationsgremiums des Instituts, verantwortlich für die Gruppen Detektorentwicklung und Softwareanalyse.

Die Motivation hinter Meinhard Reglers Entscheidung war, die Expertise in der experimentellen Teilchenphysik über das Blasenkammer-Know-how hinaus in seiner Heimat Österreich zu verankern. An der TUW, wo er die venia legendi erwarb und 1989 zum Associate Professor ernannt wurde, begründete er eine Reihe von Fachvorlesungen und Praktika, die eine Generation von Teilchenphysiker_innen prägten. 1978 gründete Regler zusammen mit George Charpak die weltweit erste internationale Instrumentierungskonferenz – die Wire Chamber Conference, später bekannt als Vienna Conference on Instrumentation (VCI) –, die sich erfolgreich zu einer regelmäßigen, alle drei Jahre stattfindenden Reihe in Wien entwickelte, deren 17. Ausgabe im Februar 2025 stattfinden wird.

Regler beteiligte sich weiterhin aktiv an Experimenten am CERN, z.B. WA1 am SPS (p-Streuung an einem polarisierten Target), UA1 am Proton-Antiproton-Collider (Kalibrierung der PM-Anzeige des "Gondel"-Ecals) und am European Hybrid Spectrometer (EHS) am SPS (Bau eines Hadronenkalorimeters, zusammen mit der Universität Straßburg).

1984 trat Meinhard Regler dem DELPHI-Experiment am LEP bei, wo HEPHY für die Vorwärtsdriftkammern verantwortlich war. Er erkannte bald das aufkommende Potenzial von Halbleiter-Tracking-Geräten und etablierte diese Technologie in großem Aufwand an der HEPHY, mit besonderem Schwerpunkt auf Siliziumstreifen, Ausleseelektronik und Strahlungshärte. HEPHY trug zum Upgrade von DELPHI durch einen neuen Very Forward Tracker (VFT) bei. Dieses Know-how im Bereich der Detektorhardware, initiiert von Regler, wurde und wird erfolgreich fortgeführt mit geschätzten Beiträgen zum CMS-Tracker am LHC, dem Belle-Vertex-Detektor am KEKB und vielen mehr.

Die LEP-Detektoren, und insbesondere DELPHI (mit der ursprünglichen "géometrie de fleur" und VFT von TPC), stellten eine neue Generation komplexer modularer Anlagen dar, die eine Herausforderung für die detektororientierte Datenanalyse darstellten. Seine Erfahrungen an der SFM erinnerten Regler an sein damaliges Studium. Zusammen mit seiner Gruppe und unter Beteiligung des CdF Paris wurden neue effiziente Methoden zur Bahn- und Vertexrekonstruktion entwickelt, die sich im Nachhinein als Kalman-Filter herausstellten. Ab 1985 wurden bahnbrechende Arbeiten veröffentlicht, und diese Methoden sind heute Standard bei den meisten Collider-Experimenten.

So begründete Regler das, was man die "Wiener Schule der Datenanalyse" nennen kann. Weitere Studien in seiner Gruppe führten viele neuartige Analysemethoden ein, insbesondere Robustheit und neuronale Netze – essentiell für die hohen Leuchtkraftstärken am LHC.

Meinhard Regler war schon immer ein vehementer Verfechter der Berücksichtigung der Datenanalyse als integraler Bestandteil des Detektordesigns. Im Rahmen der ECFA-Workshops für Physik und Detektoren an einem zukünftigen Elektron-Positron-Linearbeschleuniger trug er zur Optimierung der ILD-, SiD- und Clic-Detektorkonzepte bei, indem er zusammen mit einem Studenten ein schnelles Simulations- und Rekonstruktionswerkzeug (LiC Toy) auf Basis von MatLab entwickelte. Ein weiterer wichtiger Beitrag bestand in der Erweiterung der analytischen Glückstern-Formeln.

Meinhard Regler ist Mitautor des Standardlehrbuchs "Data Analysis Techniques for High-Energy Physics" von C.U.P. (Herausgeber der 1. Auflage 1990, ins Russische übersetzt; gemeinsam mit R.F. Herausgeber der 2. Auflage 2000, 2010 ins Chinesische übersetzt). Er ist auch Autor von etwa einem Dutzend Monographien und Mitautor von mehreren hundert wissenschaftlichen Arbeiten.

All das würde für ein Lebenswerk reichen, nicht aber für Regler. Im Jänner 1990, kurz nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs", hatte er eine Vision: Er wollte die Chance der offenen Grenzen zu Österreichs östlichen Nachbarn nutzen, um in der Region Wien ein internationales Kompetenzzentrum für angewandte Wissenschaft zu schaffen – das Projekt AUSTRON. In den Jahren 1993-96 erstellte ein Planungsbüro unter der Leitung von Meinhard Regler (teilweise beurlaubt von der HEPHY) die Machbarkeitsstudie für eine hochflussmäßige gepulste Spallations-Neutronenquelle (SNS), die später von der Europäischen Wissenschaftsstiftung (ESF) empfohlen wurde. Letztendlich verhinderten die Kosten die Realisierung, aber Teile der Studie wurden später zu wertvollem Input für das Projekt European Spallation Source (ESS) in Lund.

Regler ließ sich nicht entmutigen und verlagerte seine Idee in Richtung einer Anlage zur Krebstherapie durch Protonen- und Kohlenstoff-Ionen-Strahlen – MedAustron. Diese innovative Technik ermöglicht eine präzisere Behandlung von Tumoren mit weniger Schädigung des umliegenden Gewebes als herkömmliche Röntgenstrahlen.

Zu dieser Zeit gab es in Europa noch keine solche Lichtionenanlage. Seine Schlüsselkomponente, ein Rapid-Cycling-Synchrotron (RCS), war bereits im Rahmen des SNS untersucht worden. Mit unglaublichem persönlichem Einsatz hat Meinhard Regler gemeinsam mit Top-Expert_innen für Beschleunigertechnik und Radioonkologie diese Idee von der Vision zur erfolgreichen Umsetzung gebracht [1].

Mit Unterstützung insbesondere des Landes Niederösterreich und Wiener Neustadt (Designated Host) wurde 1996 von Regler ein gemeinnütziger Verein gegründet, der ein Planungsbüro in der Nähe des zukünftigen Standortes betreiben sollte. Entscheidende Unterstützung leistete das CERN (Kurt Hübner) mit dem "Proton Ion Medical Machine Study" (PIMMS) in Zusammenarbeit mit der TERA Foundation (Ugo Amaldi) und MedAustron. Die Studiengruppe unter der Leitung von Phil Bryant erstellte 1998 eine Machbarkeitsstudie (für die Meinhard z.B. den Entwurf eines "Riesenrad-Portals" beisteuerte), 2004 folgte eine detaillierte Designstudie. Im Jahr 2007 gründeten die beteiligten Behörden eine Gesellschaft (EBG) für den Aufbau und Betrieb von MedAustron. Es wurde eine Vereinbarung zwischen EBG und CERN unterzeichnet, um den Bau des RCS (durch ein Team junger österreichischer Ingenieur_innen unter der Leitung von Michael Benedikt (CERN), einem ehemaligen Schüler von Meinhard, zu beherbergen, um anschließend an den Standort Wiener Neustadt verlegt zu werden und die weitere Zusammenarbeit zu ermöglichen.

Nach dem Spatenstich im Jahr 2011 wurde MedAustron 4 Jahre später in Betrieb genommen. Die klinische Behandlung begann Ende 2016 mit Protonen und Mitte 2019 mit C-Ionen. Bisher wurden etwa 2.500 Patient_innen behandelt. Zusätzlich steht eine spezielle Beamline für die nicht-klinische Forschung für externe Einrichtungen zur Verfügung, die z.B. von HEPHY für Detektortests genutzt wird.

Es überrascht nicht, dass Meinhard Regler als Dozent zu vielen internationalen Konferenzen und Postgraduiertenschulen weltweit eingeladen wurde. Neben dem Vorsitz der VCI-Reihe in Wien war er bis zu seiner Emeritierung lokaler Vorsitzender der European Particle Accelerator Conference (EPAC) 2000 in Wien, Organisator der CERN Accelerator Schools 1994 und 2004 in Baden bei Wien, Mitorganisator (gemeinsam mit W.M.) des ECFA Linear Collider Workshops 2005 in Wien und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats vieler weiterer Konferenzen. Er war von 1978 bis 1981 österreichisches Mitglied im Advisory Committee of CERN Users (ACCU), von 1980 bis 1982 Vorsitzender der Sektion für Kern- und Teilchenphysik (FAKT) der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft, von 1992 bis 1997 österreichisches Mitglied des Restricted European Committee for Future Accelerators (RECFA) und von 1996 bis 2002 Mitglied des gewählten Vorstands der International Group on Accelerators (EPS-IGA) der European Physical Society.

Zu seinen Auszeichnungen zählen der Kuschenitz-Preis für wissenschaftliche Leistungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (1986), die Ehrenmitgliedschaft der Österreichischen Gesellschaft für Radioonkologie, Strahlenbiologie und medizinische Strahlenphysik (ÖGRO) (2001), der Anerkennungspreis für Wissenschaft des Landes Niederösterreich (2006) und die höchste wissenschaftliche Auszeichnung Österreichs – das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst erster Klasse (2006). Beim Spatenstich für MedAustron im März 2011 wurde Meinhard vom Landeshauptmann von Niederösterreich und vom Bundesminister für Wissenschaft und Forschung öffentlich gewürdigt, "weil er maßgeblich zur Entstehung des Projekts MedAustron in Wiener Neustadt beigetragen hat".

Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit engagierte sich Regler sozial als Mitbegründer und langjähriger Präsident der Lebenshilfe Wien – einer gemeinnützigen Organisation zur Unterstützung geistig behinderter Menschen – mit dem Bau und Betrieb eines neuen Wohnheims.

Meinhard Regler genoss das Leben und liebte Sport: Basketball, Segeln und Windsurfen (er besaß eine Trainerlizenz), Radfahren, Wandern und Bergsteigen – oft zusammen mit Freund_innen und Kolleg_innen an Wochenenden und Ferien in Österreich oder anderswo in den Alpen.

Meinhard Reglers Philosophie verstand es, sowohl die wissenschaftliche Wahrheit als auch den religiösen Glauben (wenn auch oft gegen die offizielle kirchliche Lehre) zu umfassen, was ihm half, im Leben stets eine feste moralische Haltung zu bewahren. Sein Charakter war absolut unbestechlich, streng der Wahrheit verpflichtet und empfänglich für ehrliche Loyalität, unabhängiges Denken und konstruktive Kritik.

Meinhard Regler war ein hervorragender Mensch. Wir haben einen weltweit respektierten Wissenschaftler, visionären Innovator, talentierten Organisator, begabten Lehrer, großen Humanisten, ehrlichen Mann und guten Freund verloren. Wir vermissen ihn, aber sein Vermächtnis wird für immer bei uns bleiben.

Winfried Mitaroff und Rudolf Frühwirth, HEPHY Wien

 

[1] For a comprehensive report of MedAustron’s history, see e.g. M. Benedikt and Ph. Bryant: CERN Courier, vol. 51 no. 8 (Oct. 2011), pp. 33-35, https://cds.cern.ch/record/1734709/files/vol51-issue8-p033-e.pdf, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster