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Neue Messungen stellen Spin-Flüssigkeiten in Frage

Kann man Information in Form von Elektronenspins durch ein Material schicken? Zumindest nicht so, wie man sich das jahrzehntelang erhofft hatte.

Kabel und Elektronen

Zwei grundlegend unterschiedliche Eigenschaften des Elektrons: elektrische Ladung und Spin

Es ist ein alter Traum der Festkörperphysik: Als „Spin-Flüssigkeiten“ bezeichnet man spezielle Materialien mit ganz besonderen magnetischen Eigenschaften. Mit ihnen könnte man Information transportieren, ohne dass sich auch nur ein einziges Elektron von seinem Platz bewegen muss. Für elektronische Bauteile bis hin zu Quantencomputern könnte das große Vorteile bringen.

Seit Jahren gab es immer wieder Hinweise für solche Spin-Flüssigkeiten, doch ein überzeugender Beweis fehlte. Nun zeigen aber neue Messungen: in einem Material, das bisher als größter Hoffnungsträger galt, können sich Spin-Flüssigkeiten gar nicht ausbilden. Man muss neue Pfade einschlagen. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Science“ publiziert.

Spin statt Ladung

Ob Stromkabel, Glühbirne oder Halbleiterchip: Unsere Technologien beruhen auf dem Transport elektrischer Ladung. Elektronen bewegen sich, Information wird durch elektrische Signale übertragen, die für „Ladung“ oder „keine Ladung“ stehen – beziehungsweise für „Strom“ oder „kein Strom“.

„Das geht nicht verlustfrei vonstatten“, sagt Prof. Andrej Pustogow vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien. „Es kommt immer zur Umwandlung von elektrischer Energie in Wärme, beziehungsweise zum Verlust von Information.“

Allerdings hat das Elektron neben seiner elektrischen Ladung auch noch eine zweite wichtige Eigenschaft, die man sich zunutze machen kann: Den Elektronenspin. Ähnlich wie eine Kompassnadel kann man den Spin eines Elektrons mit einem Magnetfeld ausrichten. Aus quantenphysikalischen Gründen kann der Spin nur zwei verschiedene Zustände einnehmen: Nach oben oder nach unten.

„In einem Material kann eine Wechselwirkung zwischen den Spins benachbarter Elektronen entstehen“, sagt Andrej Pustogow. „Ein Elektron kann die Orientierung seines Spins an das nächste weitergeben, und somit kann Information durch das Material wandern, ohne dass sich jemals ein Teilchen von der Stelle bewegt.“ Analog zu einem metallischen Stromleiter, in dem sich elektrische Ladungen bewegen, könnte man hier von einem „Spin-Metall“ sprechen, in welchem die Orientierung der Spins sich frei fortbewegen kann, aber die Ladung festsitzt wie in einem Isolator.

Starre Anordnung macht Bewegung unmöglich

Allerdings ist das nur möglich, wenn es keine festgelegte Spin-Konfiguration gibt. Wenn sich zum Beispiel ein stabiles, regelmäßiges Muster bildet, das abwechselnd aus Spin-nach-oben-Elektronen und Spin-nach-unten-Elektronen besteht, dann ist das Umdrehen eines Spins energetisch sehr ungünstig und alles bleibt starr. Seit Jahrzehnten wird daher darüber nachgedacht, ob es sogenannte Spin-Flüssigkeiten geben kann, bei denen die Spins selbst bei niedrigen Temperaturen kein festes Muster ergeben, sondern fluktuieren und ungeordnet bleiben, sodass die Spin-Orientierung frei wandern kann.

„Man kann sich etwa ein Material vorstellen, in dem die Elektronen in einem Dreiecksmuster angeordnet sind“, sagt Andrej Pustogow. „Wenn zwei Elektronen in diesem Dreieck entgegengesetzte Spin-Zustände einnehmen, muss der Spin des dritten Elektrons mit einem dieser Spins übereinstimmen.“ Ein Zustand, in dem alle Nachbarn immer entgegengesetzten Spin haben, ist in so einem Dreiecksmuster nicht möglich.

„Seit 2003 wird eine organische Verbindung mit Spins auf einem fast perfekten Dreiecksgitter als heißester Kandidat für eine Spin-Flüssigkeit gehandelt,“ sagt Andrej Pustogow. Doch diese Hoffnung wurde nicht erfüllt: In einer im Fachjournal Science erschienenen Studie, die aus Arbeiten vor Pustogows Berufung an die TU Wien gemeinsam mit internationalen Kollegen um Martin Dressel (Uni Stuttgart) entstand, wurde nun ein Durchbruch erzielt.

Das Kristallgitter spielt mit

Das Team konnte zeigen, dass sich die Spins weder in einem starren auf-ab-Muster arrangieren noch in einem dynamischen Zustand, wie das für eine Spin-Flüssigkeit vorhergesagt worden war. „Stattdessen finden sich die Elektronen zu Paaren zusammen, die enger aneinanderrücken und dadurch wohl auch das Gitter verzerren“, erklärt Andrej Pustogow. Damit wird die Symmetrie des Materials gebrochen – und damit zerbricht auch die Hoffnung, solche Materialien als Spin-Flüssigkeiten nutzen zu können, denn hier bewegen sich weder die Ladungen noch die Spins.

„Das bedeutet natürlich nicht, dass man Spins nicht verwenden kann, um Information zu übertragen oder zu speichern“, sagt Andrej Pustogow. „Aber unsere Ergebnisse zeigen, dass man bei der Suche nach Spin-Flüssigkeiten in eine Sackgasse geraten war. Nur wenn man diese Effekte versteht, kann man sich auf die Suche nach passenden neuen Materialien machen.“ Vielleicht gesellt sich zu den ladungstransportierenden Metallen und Halbleitern der Mikroelektronik doch noch der eine oder andere „ungeladene“ Gast.

Originalpublikation

B. Miksch et al., Gapped magnetic ground state in quantum spin liquid candidate k-(BEDT-TTF)2Cu2(CN)3, Science 372, 6539., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Kontakt

Ass. Prof. Dr. Andrej Pustogow
Institut für Festkörperphysik
Technische Universität Wien
+43 1 58801 13128
pustogow@ifp.tuwien.ac.at
https://www.ifp.tuwien.ac.at/forschung/pustogow-research/, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Aussender:
Dr. Florian Aigner
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