Die Quantenmechanik ist oftmals schwer mit der menschlichen Intuition vereinbar – sogar nach jahrelanger Forschungstätigkeit überzeugt sich Prof. Thorsten Schumm immer wieder gerne mit fundamentalen Experimenten von den bekannten, aber trotzdem ungewöhnlichen Gesetzmäßigkeiten. Eine doch mehr oder weniger alltägliche Anwendung hat die Quantenphysik allerdings in Atomuhren gefunden. Die aktuelle Forschung der „Thorium“-Gruppe von Prof. Schumm könnte nun zu einer neuen Technologie für Atomuhren führen. Bis es soweit ist, gibt es aber noch ein paar spannende, fundamentale Fragen zu erforschen.
Physiker, Ingenieur und manchmal ein bisschen Philosoph
Während seiner ersten Studienjahre an der Freien Universität Berlin belegte Thorsten Schumm neben seinem Physikstudium auch Philosophie-Lehrveranstaltungen – und das obwohl er, wie er selbst sagt, im Herzen eher Ingenieur ist. „Ich komme aus einer Ingenieurs-Familie“, erzählt der gebürtige Berliner, der auch ein paar Semester Maschinenbau studiert hat. „Neben den Grundlagen interessieren mich auch die Anwendungen der Forschungsergebnisse, ich frage mich immer, was man daraus vielleicht bauen kann. Für mich ist die gesamte Quantenphysik wie ein großer Baukasten mit völlig neuen Gesetzmäßigkeiten, die wir aus der klassischen Physik nicht kennen.“ Thorsten Schumm ist überzeugt, dass die Quantenphysik die Grundlage vieler Technologien sein wird, die wir in der Zukunft verwenden werden.
Das Philosophie-Studium in Berlin musste letztendlich aus Zeitgründen der Physik weichen, doch bis heute beschäftigt sich Thorsten Schumm auch gerne mit wissenschaftstheoretischen Aspekten seiner Forschung und legt Wert darauf, physikalische Fragestellungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Daher schätzt er auch den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Forschungsdisziplinen sowie aus anderen Ländern.
Bereits im Rahmen seines Studiums konnte er von zahlreichen internationalen Erfahrungen profitieren. Nach erfolgreichem Abschluss des Physikstudiums promovierte er auf dem Gebiet der Bose-Einstein-Kondensation. Er forschte sowohl an der Université Paris Sud wie auch an der Universität Heidelberg, was er als große Bereicherung empfand, da er trotz einer ähnlichen physikalischen Fragestellung sehr unterschiedliche Herangehensweisen kennenlernte.
Dem Doktorat folgte ein halbjähriger Forschungsaufenthalt in Toronto, wo Thorsten Schumm sein Forschungsrepertoire um das Gebiet der kalten Fermionen erweiterte und besonders den internationalen Charakter der Stadt genoss. Noch heute schwärmt er von den portugiesischen Bäckereien, die dort zu finden sind.
2006 kam er schließlich als Universitätsassistent an die TU Wien und leitete ab 2009 eigene Projekte. Eines seiner Steckenpferde – sowohl in der Forschung als auch in der Lehre – sind Atomuhren. „Für mich sind Atomuhren so etwas wie eine Erfolgsgeschichte der Quantenphysik“, sagt Schumm. „Sie basieren auf fundamentalen Quanteneffekten, aber sind doch mittlerweile alltäglich und spielen beispielsweise eine große Rolle in Kommunikationsnetzwerken oder in der Navigation – auch, wenn das fast niemand weiß.“
Kaffee und Strahlenschutz am Atominstitut
Am Atominstitut genießt Thorsten Schumm die umfangreichen wissenschaftlichen Möglichkeiten: „Wir haben hier optimal ausgestattete Laborräume, insbesondere für unsere Arbeit mit Radioisotopen“, sagt er. „Dass Fachleute für Strahlenschutz auch gleich vor Ort sind, ist ein ungemeines Privileg. Andere Forschungsgruppen haben da viel mehr Hürden zu bewältigen.“ Neben der außergewöhnlichen wissenschaftlichen Infrastruktur am Atominstitut schätzt Thorsten Schumm auch die entspannte Stimmung zwischen Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Forschungsbereichen und den Austausch untereinander, den er für überaus wichtig hält: „Es gibt viel Potenzial zur Kollaboration, das brach liegt. Dabei können spannende Kooperationen entstehen, wenn man einfach einmal darüber spricht, woran man gerade forscht.“ Am Atominstitut gibt es deshalb das Bestreben, gemütliche Sitzecken einzurichten, wo auf Sofas bei einer Tasse Kaffee geplaudert werden kann. „Auch das soziale Leben ist ein wichtiger Aspekt am Institut“, findet er.
Neue Fragen in der Kernphysik
Seit 2010 leitet Thorsten Schumm am Atominstitut die Gruppe Quantenmetrologie. Im Rahmen des „Thorium“-Projekts wird das Radioisotop Thorium-229 erforscht, das eine Art Verbindungsglied zwischen den bisher getrennten Disziplinen der Atom- und Kernphysik darstellt: „Die Atomphysik, die sich mit Prozessen in der Elektronenhülle beschäftigt, und die Kernphysik arbeiten in völlig unterschiedlichen Energie-Bereichen und daher mit anderen Apparaturen. Trotzdem finden in Hülle und Kern im Prinzip sehr ähnliche Prozesse statt, die schließlich auch mit den gleichen Formeln beschrieben werden“, erklärt Prof. Schumm. Thorium-229 scheint eine außergewöhnliche Eigenschaft aufzuweisen, die es zum einzigen Element machen könnte, dessen Kern mit Methoden der Atomphysik manipuliert werden kann. In allen Atomen können sowohl der Atomkern als auch die Elektronenhülle elektromagnetische Strahlung aufnehmen und dadurch in einen höherenergetischen Zustand übergehen.
Diese Zustände sind diskret, es kann also nur Strahlung bestimmter Frequenzen aufgenommen werden. In der Elektronenhülle sind dafür Frequenzen im Mikrowellenbereich bis zum optischen Bereich ausreichend, während im Kern üblicherweise sehr viel höherfrequente Strahlung notwendig ist. Thorium-229 tanzt aus der Reihe, da es einen Energie-Übergang im Kern zu besitzen scheint, der im vergleichsweise niederenergetischen UV-Frequenzbereich liegt.
Diesen Übergang zu finden und die Frequenz genau zu bestimmen, ist der erste Schritt im Thorium-Projekt. „Für den Übergang gibt es theoretische Vorhersagen, die bereits teilweise verifiziert werden konnten. Wir gehen also davon aus, dass es den Übergang gibt, aber wir können es noch nicht mit Sicherheit sagen“, erklärt Thorsten Schumm.
Gerade diese Unsicherheit ist es aber, die den Physiker an dem Projekt reizt: „Ich finde es spannend, Fragen zu stellen, bei denen die Antwort völlig unklar ist. In dem Forschungsgebiet kann man noch etwas Neues machen, überrascht werden“, erzählt er begeistert.
In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob der UV-Übergang in Thorium-Kernen existiert und mit welcher Frequenz er auftritt. Eine der Herausforderungen dabei ist die enorme Auflösung, die von den Messgeräten gefordert ist. Erst vor wenigen Monaten wurde ein Spektrometer mit ausreichender Auflösung von einer Heidelberger Gruppe entwickelt, mit der eine Kooperation besteht.
Atomuhr in Zuckerwürfel-Größe
Gelingt es, den Übergang zu klassifizieren, könnte das Radioisotop Thorium-229 in eine neuartige Atomuhr integriert werden. Die Funktionsweise von Atomuhren basiert auf energetischen Übergängen in der Elektronenhülle – mit Thorium-229 könnte es aufgrund des speziellen niederenergetischen Kern-Übergangs gelingen, die Technik auf den Atomkern zu übertragen. „Atomkerne sind perfekt geeignet für Atomuhren“, sagt Schumm. „Der Kern bringt mit der Elektronenhülle sein eigenes Schutzschild gegenüber äußeren Einflüssen mit. So muss der Aufbau nicht aufwendig abgeschirmt werden und könnte sogar in Zuckerwürfel-Größe realisiert werden.“
Ob er die Entwicklung von Atom-Armbanduhren begrüßen würde oder gar selbst eine solche Uhr tragen würde, weiß er nicht. Ohnehin meint er von sich selbst, kein sonderlich pünktlicher Mensch zu sein. Trotzdem ist Zeitmessung für ihn ein faszinierendes Thema: „Der aktuelle Wissensstand der Menschheit ließ sich auch in der Vergangenheit stets daran erkennen, wie die Zeit gemessen wurde. Mehr Verständnis über die Astronomie verhalf uns zur Sonnenuhr, die Entwicklungen in der klassischen Mechanik brachten die Pendeluhr hervor. Die Atomuhr wiederum ist eine Folge des Fortschritts auf dem Gebiet der Quantenmechanik.“ Vielleicht kann diese Liste bald um eine weitere Technologie ergänzt werden - es bleibt spannend, was der Baukasten der Quantenphysik noch für ungeahnte Möglichkeiten birgt.
Webtipp: http://www.thorium.at, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster