Quanten-Effekt erstmals bewiesen: Die Spin-Rotations-Kopplung

Vor über 30 Jahren wurde er vorausgesagt, nun konnte der Effekt von einem Team der TU Wien erstmals nachgewiesen werden: Der Spin von Neutronen zeigt eine bestimmte Art von Trägheit.

Illustration des Effektes von Rudolf Titze

© Atominstitut

1 von 3 Bildern oder Videos

Illustration des Effektes von Rudolf Titze

Hartmut Lemmel, Stephan Sponar, Yugi Hasegawa, Richard Wagner, Wenzel Kersten und Armin Danner (v.l.n.r.). Foto: TU Wien

© Atominstitut

1 von 3 Bildern oder Videos

Hartmut Lemmel, Stephan Sponar, Yugi Hasegawa, Richard Wagner, Wenzel Kersten und Armin Danner (v.l.n.r.). Foto: TU Wien

Die Neutroneninterferometriestation S18 am ILL in Grenoble

© Atominstitut

1 von 3 Bildern oder Videos

Die Neutroneninterferometriestation S18 am ILL in Grenoble

Stellen wir uns vor, wir tanzen über die Wiese und drehen uns dabei rasch um die eigene Achse. Und irgendwann hopsen wir dabei auf ein rotierendes Karussell. Die Drehung des Karussells beeinflusst augenblicklich unsere eigene Rotation, ein Drehimpuls wird übertragen – je nachdem, wie gut unser Gleichgewichtssinn trainiert ist, endet das möglicherweise schmerzhaft. Kann man ähnliche Effekte auch bei Quantenteilchen beobachten?

Nach jahrelanger Vorarbeit gelang es nun einem Team der TU Wien, den Eigendrehimpuls von Neutronen zu untersuchen, die von einem nichtrotierenden in ein rotierendes Bezugssystem überwechseln. Dazu musste eine neuartige Magnetspule entwickelt werden, die den Neutronenstrahl einem rotierenden Magnetfeld aussetzt. Dabei wurde nachgewiesen: Ähnlich wie klassische Objekte zeigt der Spin des Neutrons eine gewisse Trägheit, obwohl der Neutronen-Spin selbst keine Masse besitzt und grundsätzlich nur mit den Gesetzen der Quantenphysik verstanden werden kann. Die Ergebnisse des Experiments wurden nun im Fachjournal „Nature Partner Journal Quantum Information“ veröffentlic

Was sich dreht, will sich weiterdrehen

„Trägheit ist ein Grundprinzip, mit dem wir ständig zu tun haben“, sagt Stephan Sponar vom Atominstitut der TU Wien. „Wenn wir in einem Zug sitzen, der sich völlig gleichförmig dahinbewegt, dann fühlt sich das genauso an, als würden wir unbewegt zu Hause auf einem Sessel sitzen. Doch wenn wir das Bezugssystem wechseln, etwa wenn wir aus dem Zug auf die Wiese springen, dann werden wir unsanft abgebremst, wir spüren Kräfte aufgrund der Trägheit unserer Masse.“

Bei Drehungen ist die Sache ähnlich: Auch ein drehendes Objekt behält seinen Drehimpuls bei, solange kein äußeres Drehmoment auf das Objekt einwirkt. Doch hier wird die Sache kompliziert, wenn man den Blick auf Quantenteilchen richtet: „Teilchen wie Neutronen oder Elektronen besitzen nämlich eine ganz besondere Art des Drehimpulses – den Spin“, erklärt Armin Danner, Erstautor der aktuellen Publikation.

Der Spin ist der Eigendrehimpuls des Teilchens. Oft wird er mit der Eigendrehung eines Planeten um seine eigene Achse verglichen, aber der Vergleich trifft die Sache nicht besonders gut: Der Spin ist nämlich auch bei Quantenteilchen zu beobachten, die punktförmig sind, die also im klassischen Sinn gar nicht um eine Achse rotieren können. „Den Spin kann man sich vorstellen als Eigendrehung, zusammengezogen auf einen unendlich kleinen Punkt“, sagt Armin Danner. Der Spin lässt sich nur mit dem Formalismus der Quantentheorie vollständig erklären, zu unserer Alltagserfahrung passt er nicht so richtig. Das Konzept der Trägheit, das wir aus dem Alltag kennen, bleibt aber hier trotzdem noch gültig.

Kopplung zwischen Spin und Magnetfeld

„Schon 1988 wurde postuliert, wie sich ein Neutron verhalten soll, wenn es von einem nichtrotierenden in ein rotierendes Bezugssystem wechselt, und wieder zurück“, erzählt Prof. Yuji Hasegawa, Leiter der Arbeitsgruppe Neutroneninterferometrie des Atominstituts. „So wurde vorhergesagt, dass es eine Kopplung zwischen dem Neutronenspin und einem rotierenden Magnetfeld geben muss. Doch bisher ist es niemandem gelungen, diesen Effekt direkt in seiner quantenmechanischen Natur nachzuweisen. Auch wir haben einige Jahre und mehrere Anläufe dafür gebraucht, aber nun konnten wir den Kopplungseffekt eindeutig demonstrieren.“

Ähnlich wie ein Tänzer, der einen Eigendrehimpuls hat und sich dann plötzlich über ein rotierendes Karussell bewegt, wird das Neutron mit seinem Spin durch einen Bereich mit rotierendem Magnetfeld geschickt. Dadurch wird der Spin des Neutrons beeinflusst – allerdings so, dass es beim Verlassen des rotierenden Magnetfelds wieder genau dieselbe Orientierung hat wie am Anfang. Das heißt, die Drehachse des Eigendrehimpulses ist die gleiche. Beim Übertritt vom nicht rotierenden Bereich in den rotierenden Bereich und wieder zurück treten allerdings Trägheitsphänomene auf, die quantenmechanisch detektiert werden können.

Dazu muss man den Neutronenstrahl in zwei Pfade aufspalten: Einer wird durch das rotierende Magnetfeld gelenkt, der andere nicht. Am Ende werden beide Pfade miteinander vereint. Nach den Regeln der Quantenphysik legt jedes einzelne Neutron beide Pfade gleichzeitig zurück. Die Trägheitskräfte führen dazu, dass sich die Wellenlänge entlang des einen Weges lokal ändert – und das bestimmt, wie sich die beiden Teilchen-Wellen der beiden Pfade nach der Vereinigung gegenseitig verstärken oder auslöschen.

Die größte Herausforderung dabei war das Design einer speziellen Spule, mit der man ein rotierendes magnetisches Feld erzeugen kann. In die Spule muss ein kleines Fenster eingebaut werden, durch das der Neutronenstrahl gelangt – und gleichzeitig muss das Magnetfeld im Inneren der Spule exakt die richtige Form haben. Eine passende Geometrie wurde mittels Computer-Simulationen gefunden. Entwickelt und getestet wurde das System an der Neutronenquelle der TU Wien, die endgültigen Messungen wurden dann am ILL in Grenoble durchgeführt.

„Das Faszinierende daran ist, dass es sich hier um einen reinen Quanteneffekt handelt, den man zunächst auf klassische Weise nicht verstehen kann“, sagt Armin Danner. „Unser Alltagsverständnis von Drehimpuls und Rotation hilft uns hier scheinbar nicht weiter. Aber wir haben gezeigt, dass das klassische Konzept der Trägheit auch in den extremen Spezialfällen unserer Untersuchungen sinnvoll bleibt.“

 

Originalpublikation

A. Danner et al., Spin-rotation coupling observed in neutron interferometry, npj Quantum Information 6, 23 (2020)., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
 

Kontakt:

Dr. Stephan Sponar
Atominstitut
Technische Universität Wien
Stadionallee 2, 1020 Wien
T +43-1-58801-141475
stephan.sponar@tuwien.ac.at

Dipl.-Ing. Armin Danner
Atominstitut
Technische Universität Wien
Stadionallee 2, 1020 Wien
T +43-1-58801-141474
armin.danner@tuwien.ac.at