Das Institut für Fertigungstechnik und Photonische Technologien kann auf eine lange und traditionsreiche Geschichte zurückblicken:
Die institutionellen Wurzeln der Technischen Universität Wien, die 1815 als „k. k. polytechnisches Institut in Wien“ gegründet wurde, liegen im Bereich der militärischen und gewerblich-technischen Fachschulen, die in Österreich wie in ganz Europa seit dem Beginn des 18. Jhs. entstanden: als militärische Ingenieurakademien, Bergakademien, Bauakademien, aber auch als sogenannte „Realakademien“ mit vorwiegend kaufmännischer Ausrichtung.
Hintergrund dieser Neugründungen war ein wachsender Bedarf der staatlichen Verwaltungen, des Militärs und der Wirtschaft an Fachkräften mit technisch-naturwissenschaftlicher Ausbildung. Für Staaten wie die Habsburgermonarchie kam gegen Ende des 18. Jhs. noch ein weiteres Motiv hinzu: man wollte den inzwischen deutlich sichtbaren industriellen Vorsprung Englands so rasch wie möglich aufholen und damit langfristig auch die Staatsfinanzen verbessern. Unmittelbares Vorbild der Wiener Gründung war die 1795 in Paris errichtete „École polytechnique“, einer ihrer direkten Vorläufer die 1770 von Georg Fischer in Wien gegründete „k. k. Realhandlungsakademie“ (später Realschule zu St. Anna). Seit 1797 gab es bereits in der für das Bildungswesen der Monarchie zuständigen „Studienhofkommission“ Überlegungen zur Schaffung einer zentralen technischen Schule, die ihren Standort natürlich in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien haben sollte. Durch die Kriege gegen Napoleon wurden diese Planungen jedoch zunächst unterbrochen.
Am 4. April 1805 erteilte Kaiser Franz II. (I.) (1768-1835) der Studienhofkommission den Auftrag, ein Gutachten zur Frage der Errichtung eines polytechnischen Instituts in Wien auszuarbeiten. Im März 1810 wurde Johann Joseph Prechtl (1778-1854), damals Professor an der Wiener Realschule zu St. Anna, mit der Ausarbeitung eines Organisations- und Studienplanes für eine solche Anstalt betraut.
Am 6. November 1815 wurde dann das k. k. polytechnische Institut feierlich eröffnet. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Wiener Institut die bei weitem größte Einrichtung ihrer Art in der Habsburgermonarchie (neben Prag wurden im Laufe der Zeit auch in Graz, Brünn und Lemberg ähnliche Lehranstalten gegründet). Es wurde zum Vorbild zahlreicher Neugründungen polytechnischer Schulen in Städten des Deutschen Bundes, so z.B. in Karlsruhe 1825 und in Hannover 1831.
Aufgaben und Organisation
Prechtl hatte – und das war das eigentlich Neue an seinem Konzept – ein universitätsähnliches Institut mit Lehr- und Lernfreiheit für Professoren und Hörer angestrebt. Nach der „Verfassung“ des polytechnischen Instituts von 1817 sollte es drei Aufgabenbereiche abdecken:
- die Funktion als technische Lehranstalt mit wissenschaftlichem Anspruch,
- die Aufgabe eines „Konservatoriums für Wissenschaften und Künste“ (heute: eine technologische Schausammlung) und
- das Ziel, als Verein zur Förderung der „Nationalindustrie“ zu wirken.
Als technische Lehranstalt umfasste das Institut eine technische und eine kommerzielle Abteilung sowie eine zweijährige Realschule als Vorbereitungsschule.
Bereits bei der Gründung des Polytechnischen Instituts im Jahr 1815 (eröffnet am 6. November) wird der Lehrgegenstand „Empirische Technologie“ als tragendes Fach der Technischen Abteilung des Polytechnischen Instituts eingeführt und bald in „Mechanische Technologie“ umbenannt. Georg Altmütter, ab Juli 1816 Professor für Mechanische Technologie, gilt als Begründer der systematischen Werkzeuglehre und verfasst gemeinsam mit seinem Schüler Karl Karmarsch (der 1831 Direktor und Hauptlehrer an der höheren Gewerbeschule in Hannover wird) und Johann Joseph von Prechtl die „Technologische Encyklopädie“. Altmütter schuf mit dem „Fabriksproduktenkabinett“, welches im Jahre 1823 ca. 20.000 Musterstücke umfasste, und seiner Werkzeugsammlung eine Einrichtung, deren Bedeutung über die Bedürfnisse des Polytechnikums weit hinausgingen.
Foto: Georg Altmütter (Quelle: Technisches Museum Wien)
Nachfolger von Altmütter sind Jakob Reuter (1858-1863), Rudolf von Kulmer (1863-1865) und Ignaz Heger (1865-1880).
1880 übernimmt Friedrich Arzberger die Lehrkanzel und trägt den gesamten Stoff der Mechanischen Technologie in drei Kollegien vor:
- Mechanische Technologie I: Rohstoffe und die Verarbeitung der Metalle durch Gießen, Schmieden und Walzen inkl. der dafür erforderlichen Einrichtungen
- Mechanische Technologie II: Werkzeuge und Werkzeugmaschinen zur spanabhebenden Fertigung der Metalle und des Holzes
- Mechanische Technologie III: Faserstoffe, Spinnerei, Weberei und Papierfabrikation
Im Jahr 1911 schließlich wird die Lehrkanzel „Mechanische Technologie II und Werkzeugmaschinen“ (Lehre von der Verarbeitung der Werkstoffe einschließlich der dazugehörenden Maschinen) als Vorgängerin des Instituts für Fertigungstechnik begründet und mit Prof. Julius Urbanek besetzt.
1924 erfolgt die Gründung der Lehrwerkstätte für den Studienbetrieb. Sie wird im 2. Weltkrieg für wehrwirtschaftliche Aufgaben herangezogen und spielt eine führende Rolle in der Lehrenherstellung.
© Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
Lehrwerkstätte in den 1920er Jahren
Foto: Lehrwerkstätte in den 1920er Jahren (Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek)
Im Jahre 1946 übernimmt Ludwig Tschirf als Bevollmächtigter für die Wiederinbetriebnahme der Technischen Hochschule Wien den Wiederaufbau des Instituts und der Lehrwerkstätte und wird noch im selben Jahr zu dessen Vorstand ernannt.
Eine Ausweitung des Arbeitsbereiches erfährt das Institut im Jahr 1958 mit der Einführung mehrerer betriebswirtschaftlicher Lehrgegenstände, die in der Umbenennung in „Institut für Mechanische Technologie II und Betriebstechnik“ formalen Ausdruck findet.
Prof. Ludwig Tschirf war Initiator eines Lehrauftrags „Bau von Fabrikanlagen“ an der Fakultät für Bauingenieurwesen, der ab 1958 von Jaro Merinsky am Institut für Hochbau für Bauingenieure eingerichtet wurde. Diese Lehrveranstaltung war sowohl für Bauingenieure des konstruktiven Zweiges als auch Maschinenbauer des betriebswirtschaftlichen
Zweiges vorgesehen. Dem Umstand, dass dieser Lehrauftrag von Maschinenbauseite angeregt und an einem Bauingenieurinstitut abgehalten wurde, ist es zu verdanken, dass schon Ende der 50er Jahre Studenten dieser beiden Studienrichtungen gemeinsam, also interdisziplinär, Projekte des Industriebaus bearbeiten konnten. Aus dieser Initiative geht das Institut für Industriebau hervor.
1969/70 erfolgt die Fertigstellung des Labors für Fertigungstechnik in der Engerthstraße, in dem seither die Studierenden des Maschinenbaus ihr fertigungstechnisches Praktikum absolvieren.
Foto: Labor für Fertigungstechnik, Engerthstraße 119, 1220 Wien (Quelle: IFT)
1980 schließlich wird die Abteilung für Betriebstechnik und Betriebswirtschft ausgegliedert und mit dem seit 1965 bestehenden Institut für Arbeitswissenschaft zu einem neuen Institut für Arbeits- und Betriebswissenschaften (heute Institut für Managementwissenschaften) zusammengelegt. Im selben Zuge erfolgt die Umbenennung des „Instituts für Mechanische Technologie II und Betriebstechnik“ in „Institut für Fertigungstechnik“.
1982 übernimmt Helmar Weseslindtner (a.o. Professor für mechanische Technologie) die Leitung des Instituts und wird 1986 zum Ordinarius für „Rechnergeführte Fertigung“ ernannt. Der Lehrstuhl „Fertigungstechnik“ am Institut für Fertigungstechnik wird mit Professor Acel besetzt, der die Abteilung „Theoretische Technologie und Werkzeugmaschinenbau“ des Instituts leitet.
Weseslindtner führt das Institut in das Zeitalter der computerunterstützten Fertigung. Während seiner mehrjährigen Tätigkeit bei der Fa. Scharmann & Co., Mönchengladbach, hat er ein völlig neuartiges Konzept für rechnergeführte, verkettete Fertigungssysteme entwickelt, das in der Folge in umfangreichen Industrieprojekten vielfach in die Praxis umgesetzt wurde. Nach seiner Rückkehr an die Technische Universität und Übernahme des Instituts werden die Konzepte für rechnerintegrierte Fertigungssysteme in Zusammenarbeit mit namhaften Herstellern der österreichischen und deutschen Werkzeugmaschinen¬industrie (wie z. B. Scharmann, Deckel, Maho, Hüller Hille, Heid) in Wien ständig weiterentwickelt.
Foto: Helmar Weseslindtner (Quelle: IFT)
Foto: Helmar Weseslindtner (Quelle: IFT)
Insbesondere beim Aufbau von hochautomatisierten Fertigungsanlagen ist eine rein statische, mit herkömmlichen Verfahren durchgeführte Auslegung der Anlagenkomponenten unzureichend, da der Einfluss von dynamischen bzw. steuerungstechnischen Komponenten unberücksichtigt bleibt. Während die ersten Systeme noch anhand physischer Modelle untersucht wurden (nachfolgendes Bild zeigt das Modell eines Flexiblen Fertigungssystems für die Bearbeitung von Fahrzeugrahmen), setzt Weseslindtner bald auf die computergestütze Simulation, die am Institut im Rahmen von zahlreichen Projekten für die Industrie als modernes Hilfsmittel eingesetzt und in Kooperation mit internationalen Forschungseinrichtungen weiterentwickelt wird (beispielsweise im Rahmen des EU-Projekts „Forcast“).
Foto: Funktionsfähiges Modell eines Flexiblen Fertigungssystems
Parallel dazu wird das erste Versuchslabor für Industrieroboter am Institut für Fertigungstechnik aufgebaut, um Einsatzmöglichkeiten und Integration dieser neuen Technologie im Bereich der Fertigung und Montage zu untersuchen und einem breiten Fachpublikum zugänglich zu machen. Im Rahmen des 1985 vom Ministerrat beschlossenen Mikroelektronik-Förderungsprogramms werden zahlreiche Initiativen gesetzt und eine Reihe von zukunftsweisenden Projekten in Zusammenarbeit mit österreichischen Unternehmen wie z. B. Kapsch, Schrack, Siemens oder Philips erfolgreich abgewickelt. In diese Zeit fällt auch die Mitarbeit am „Joint Coordinating Forum for the International Advanced Robotics Programme“, das sich die Förderung der internationalen Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Robotersystemen zum Ziel hatte, und die Durchführung der ersten umfassenden Studie über Entwicklung und Einsatz von Industrierobotern in Österreich (gefördert vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung).
Ende der 1980er Jahre rückt die Integration der Fertigung mit den vorgelagerten Bereichen CAD (Computer Aided Design), CAP (Computer Aided Planning) und PPS (Produktionsplanung und -steuerung) in den Vordergrund. Aufgrund des zunehmenden Interesses der österreichischen Industrie an der Realisierung umfassender CIM-Konzepte und steigendem Entwicklungs- und Beratungsbedarf in diesem Fachgebiet wird auf Initiative von Professor Weseslindtner das erste CIM-Labor in Zusammenarbeit mit namhaften Computerherstellern wie IBM, Siemens Nixdorf und DEC an der TU aufgebaut und später in das Interuniversitäre Zentrum für Computer Integrated Manufacturing (IUCCIM), das 1991 als Zusammenschluss mehrerer Institute der Technischen Universität Wien und der Wirtschaftsuniversität Wien gegründet wird, integriert. Professor Weseslindtner ist von 1991 bis 1997 Vorstand dieser Organisation, deren Aufgaben die Intensivierung der interuniversitären Forschung in diesem neuen Fachgebiet ist. Aufgrund der hervorragenden Industriekontakte Weseslindtners wird die Einrichtung mit umfangreichen Donations gesponsert, was zu einem beträchtlichen Investitionsschub bei den beteiligten Instituten führt. Darüber hinaus wird der Wissenstransfer von den Universitäten zur Industrie durch eine Reihe von universitären Lehrgängen für Führungskräfte intensiviert. 1997 tritt das Institut für Fertigungstechnik aus dem IUCCIM-Verbund aus und übernimmt in weiterer Folge das Labor für Produktionstechnik auf den Aspanggründen („Funkehalle“).
Das Lehr- und Lernunternehmen – IUCCIM
In den 1990er Jahren leitet Prof. Weseslindtner zahlreiche internationale Forschungsprojekte, und wird unter anderem mit dem „Eureka Lillehammer Award“ für innovativste Produktentwicklung ausgezeichnet. Die Arbeitsschwerpunkte des Instituts rückten gegen Ende der 1990er Jahre wieder stärker in Richtung Technologie. So werden im Rahmen der Auftragsforschung Themen wie Werkzeugoptimierung, Beurteilung von Kühlschmierstoffen und Bearbeitungsverfahren, verfahrenstechnische Vergleiche, Zerspanung neuer Werkstoffe, Einsatz der Minimalmengenschmierung, Optimierung der Schneidleistung von Wasserabrasivstrahlschneidköpfen oder – im medizinischem Bereich – die Weiterentwicklung des Knochenbohrens bearbeitet.
Nach dem Ableben von Professor Acel wird der Lehrstuhl „Fertigungstechnik“ in „Spanlose Fertigungsverfahren“ umbenannt und 1995 mit Professor Schuöcker besetzt. Die Abteilung „Theoretische Technologie und Werkzeugmaschinenbau“ wird 1997 in „Physikalische Technologie“ umbenannt und von Prof. Schuöcker geleitet. 1998 wird die Abteilung aus dem Institutsverband ausgegliedert und in das neu gegründete „Institut für Spanlose Fertigung und Hochleistungslasertechnik“ übernommen, das 2004 in „Institut für Umformtechnik und Hochleistungslasertechnik“ umbenannt wird.
2008 wird im Rahmen der Reorganisation der Fakultät die Wiedervereinigung der beiden Institute zum „Institut für Fertigungstechnik und Hochleistungslasertechnik“ beschlossen. Prof. Schuöcker übernimmt nach dem Ableben von Prof. Weseslindtner 2008 die Institutsleitung bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2009.
2009 wird Friedrich Bleicher zum Professsor für Spanende Fertigungstechnik ernannt und übernimmt die Leitung des Instituts.
Foto: Friedrich Bleicher (Quelle: IFT)
Der Lehrstuhl für Umformtechnik und Hochleistungslasertechnik wird 2011 mit Professor Andreas Otto besetzt.
2012 wird die Learning and Innovation Factory als Initiative der Institute für „Fertigungstechnik und Hochleistungslasertechnik“, „Managementwissenschaften“ und „Konstruktionswissenschaften und Technische Logistik“ begründet.
In 2018 übersiedelt das Institutslabor mit allen Maschinen und Labormitarbeitern in die neue Halle “TEC-LAB Labor für Fertigungstechnik“. Die alten Laborstandorte in der Engerthstraße und der Landstraße Hauptstraße werden geschlossen.
2019 wird das Institut in „Institut für Fertigungstechnik und Photonische Technologien“ umbenannt.
In der Entwicklung von Fertigungsprozessen für den modernen Maschinenbau ist das Institut mit rund 100 MitarbeiterInnen und hervorragend ausgestatteten Laboratorien eines der bedeutendsten Forschungszentren für die Fertigungstechnik in Mitteleuropa. Das Institut betreibt angewandte Forschung in Bereichen der Fertigungstechnologieentwicklung, der Werkzeugmaschinentechnik sowie der Fertigungsautomatisierung, Digitalisierung und Qualitätssicherung. Es ist eine Tradition an der TU Wien, und speziell am Institut für Fertigungstechnik, Technologietransfer in Form von Projektpartnerschaft mit der Industrie zu unterstützen, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Somit werden etwa 80 Prozent aller Forschungsprojekte in Kooperation mit Industrieunternehmen abgewickelt. Innovative Fertigungskonzepte konnten in vielen F&E-Projekten durch die Anwendung von spezifischem Design von Werkzeugmaschinenstrukturen und Fertigungsprozessen durchgeführt werden.
Seit 2004 wurden mehr als 1000 Projekte mit über 450 nationalen und internationalen Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft erfolgreich abgeschlossen. Aus den Projektarbeiten resultiert auch eine Reihe von Patenten. Diese Möglichkeit wird nicht nur von Großunternehmen wahrgenommen, um technologisch immer am Zahn der Zeit zu bleiben, sondern auch von vielen mittelständischen Unternehmen. Dabei agiert das Institut sehr oft als ausgelagerte Innovations- sowie Forschungs- und Entwicklungsschmiede der Unternehmen. In den letzten zehn Jahren hat sich das Institut von einer kleinen Abteilung der Fakultät für Maschinenwesen zu einer vollwertigen wissenschaftlichen Einheit gewandelt, die sich in zwei Forschungsbereiche mit vier Forschungsgruppen gliedert.