Università degli Studi dell'Aquila, L'Aquila, Italy, Summer semester 2016/17
Dmitri-Alexander Jilin
(This blog is available in German language only)
... Blogeinträge 1 und 2 finden Sie hier >>
3. Blogeintrag: "Neapel sehen und sterben" (J.W.von Goethe) (Mai 2017)
Aus Aktuellem Anlass unterbreche ich die Serie "Die Monumente Aquilas" um vom Ausflug nach Neapel zu berichten. Die schöne Stadt am Golf im Herzen Kampaniens ist von L'Aquila aus bequem und kostengünstig zu erreichen. Baltour bittet Tickets one way um 17€ an. Die Fahrt durch die Abruzzen, Südlatium und Nordkampanien ist übrigens ein ästhetisches Erlebnis für sich. Eine Unterkunft lässt sich im Web auch leicht finden. Neapel - die Metropole am Vesuv ist stark mit der Geschichte L'Aquilas verbunden. Beide Städte waren jahrhundertelang teil des Königreichs Neapel. L'Aquila war nach Neapel die zweitgrößte und zweitwichtigste Stadt in diesem Königreich. Daher teilen diese auf den ersten Blick so ungleichen Städte dasselbe historische Schicksal.
Nach einer etwa dreistündigen Fahrt kommt man am großen Busterminal bei Napoli Centrale - dem Hauptbahnhof an. Der erste Eindruck der den Neuankömmling a Napoli erwartet, ist die Piazza Garibaldi mitsamt dem berüchtigten neapolitanischen Verkehr. Was auf den ersten Blick wie der blanke Wahnsinn wirkt, entpuppt sich nach mehrtägigem Aufenthalt als die gewohnte neapolitanische Verkehrschoreographie deren Bühne man lässig betritt und ohne Scheu selbst die furchteinflößendsten Verkehrsachsen überquert. Hat man einmal den Verkehrskochtopf Piazza Garibaldi hinter sich gebracht, kann man in die engen und malerischen Gassen von "Spaccanapoli"eintauchen. So wird der älteste Stadtteil von Neapel genannt. Er entspricht dem antiken Neapolis und besitzt nach wie vor das schachbrettartige Straßennetz aus der Antike. Man bekommt daher eine sehr gute Vorstellung wie einst das antike Alexandria oder Ephesos gewirkt haben müssen. Außerdem strotzt Spaccanapoli nur so von Leben. Ein buntes Gemisch aus Einheimischen und Touristen bewegen sich durch seine engen Gassen, hin und wieder aufgescheucht von einer vorbeirauschenden Vespa oder einem schrill hupenden Kleinwagen. Überhaupt ist das Herz von Neapel ein Rausch für die Sinne. Sei es die kleine Pizzeria oder doch die Pasticeria die verführerisch duftet oder doch die nächste ungeleerte Mülltonne die ihren "Duft" verbreitet, alle Gerüche der Welt scheinen hier auf engstem Raum versammelt. Sattsehen kann man sich an dieser Stadt auch nicht - aus dem Verkehrsgewirr, den engen Gassen und auf den kleinen Plätzen erheben sich Baujuwelen aus verschiedensten Epochen. Ob nun eine gotische Kathedrale, ein Prachtwerk der Renaissance oder eine elegante Schöpfung der Belle Epoche. Und über allem thront er - der Vesuv - Schöpfer und Zerstörer - wie ein gewaltiger, grauer Riese erhebt er sich südöstlich der Stadt. Neben ihm dominieren fünf Festungen aus verschiedenen Epochen die Stadt - und hier offenbart sich wieder das geteilte Schicksal Neapels und L'Aquilas. So wie L'Aquila seine "Spanische Festung" hat, so besitzt Neapel mit dem "Castell S.Elmo" ein beeindruckendes und gleichzeitig furchterregendes Zeugnis der spanischen Herrschafft. Interessanterweise wurden beide vom selben Architekten, Pedro Luis Escrivà, geschaffen. Es ist die jüngste einer Reihe von Festungsbauten, welche die Stadt einst beschützten, aber auch geleichzeitig ihre aufrührerische Bevölkerung im Zaum halten sollten. Im 17. und 18. Jahrhundert war Neapel nämlich die drittgrößte Stadt Europas, gleich nach London und Paris. Sie galt als ein Musterbeispiel an gelungener Organisation und war eine bedeutende Stätte von Kunst und Wissenschaft. Das heute klischeehaft verbreitete Bild vom chaotischen, schmutzigen und verbrechensgeplagten Neapel ist vergleichsweise jung und stimmt, wie die meisten Klischees nicht. Bezieht man so wie ich das Quartier direkt in der "Via dei Tribunali" (Straße der Gerichtshöfe), so hat man es nicht weit zum Castell Capuano, der von einem beeindruckenden Doppeladler aus der Zeit Karls V (16.Jhdt) geschmückt wird. Ebenso ist die Kathedrale von Neapel nur einen Katzensprung entfernt. Der erste Weg führte mich und die mich begleitenden Erasmusstudentinnen in das archäologische Museum von Neapel, wo ich aufgrund der Fülle an Kunstschätzen entnervt als erstes einen Reiseführer kaufte. Das Museum überwältigt mit seinen Massen an antiken, griechisch-römischen Kunstschätzen. Besonders sehenswert sind die Statuen der Sammlung Farnese, die Fresken aus Pompeji und die Funde aus der "Villa dei Papyri". Besonders beliebt ist auch das "Geheimkabinett", welches die erotischen Funde aus den untergegangenen antiken Städten verwahrt. Nach diesem überwältigenden Kunstgenuss sollte auch der kulinarische nicht zu kurz kommen. Dazu haben wir die "Antica Pizzeria D'è Figliole" besucht. Diese serviert die berühmte "Pizza Fritta" (frittierte Pizza). Was als kleiner Teigklumpen mit Füllung anfängt, entsteigt der Fritteuse als gewaltige, sättigende Calzoneartige Pizza. Fazit: Ausgezeichnet!
Macht man sich die Mühe in den Stadtteil "Vomero" heraufzusteigen, oder so wie ich es tat, zu fahren, belohnt die dort am höchsten Punkt thronende Festung S.Elmo ihren Besucher mit einem herrlichen Ausblick über die Stadt und den Golf von Neapel. Bei meiner Anfahrt, wie könnte es anders sein, streikte die U-Bahnlinie 1. In so einem Fall wendet man sich am besten an die Touristeninfo am Bahnhof Napoli Centrale. Mir wurde der Rat erteilt die U-Bahn Linie M2 zu nehmen und in die Seilbahn umzusteigen. Neapel hat vier Stadtseilbahnen, welche die hochgelegenen Stadtteile mit jenen am Hafen verbinden. Es gelten für die Fahrt dieselben Tickets wie für die U-Bahn und kosten als Einzelfahrt 1€. Überhaupt hat Neapel ein sehr interessantes U-Bahnnetz, bestehend aus den Linien M1, M2 und M6, wobei die Linie 2 eigentlich eine S-Bahn mit sehr modernen Zügen ist. Es sei noch erwähnt, dass der Ausblick von den Seilbahnen beeindruckend ist - aber die Aussicht von S.Elmo stellt alles in den Schatten. Das einzige was uns drei den Tag verdorben hat, war der Besuch bei der "Antica Pizzeria da Michele". Diese weltberühmte Pizzabäckerei, vor der sich eine Schlange von Touristen anstellt, entpuppte sich als der ärgste Reinfall. Eine halbverbrannte Margherita mit nicht zerronnenem Mozzarella und einer nicht näher definierbaren Flüssigkeit auf der Pizza ließen einem den Appetit schnell vergehen. Fazit: Der Laden lebt nur vom Namen, nie wieder. Mir fiel es prinzipiell schwer zu glauben, dass DAS die berühmte neapolitanische Pizza sein soll. Vor allem deshalb, da die Pizza in Neapel erfunden wurde.
Um unseren Neapelbesuch abzurunden, haben wir auch beschlossen den Herkunftsort der herrlichen Fresken zu besuchen. Davon aber mehr beim nächsten Blogeintrag, wenn es heißt "Pompeji sehen und Sterben".
4. Blogeintrag: CIVITAS POMPEIANORVM (Mai 2017)
Möchte man von Neapel aus Pompeji besuchen, empfiehlt es die "Circumvesuviana" zu nehmen. Diese Eisenbahn verkehrt, wie der Name es schön verrät, um den Vesuv herum und ist eine hervorragende Möglichkeit die wunderschöne Küste zu sehnen - wenn man einen Sitzplatz ergattern kann. Daher meine Empfehlung an alle zukünftigen Pompejipilger - steigt nicht in Napoli Centrale zu, wo der Zug von Touristen gestürmt wird, sondern macht euch den Umweg zur Station "Porta Nolana" um fix einen Sitzplatz zu kriegen. Die Aussicht wird euch dafür reichlich belohnen - ach ja, und passt auf, dass ihr den richtigen Zug nach Pompeji nehmt!
Von der Station "Pompeji-Villa dei Misteri" sind es nur ein paar Meter zum Besuchereingang "Porta Marina". Man sollte sich unbedingt bei der Infostelle einen gratis Stadtführer von den Beni Culturali - dem italienischen Kulturministerium holen. Er ist in de facto allen Sprachen verfügbar und sehr gut geschrieben. Dazu gibt es auch einen gratis Stadtplan - und diesen wird man brauchen, ist doch fast eine ganze Stadt dem interessierten Publikum zugänglich. Gleich an der Porta Marina, dem "Meerestor" Pompejis wartet die erste große Sehenswürdigkeit - die Vortstadtthermen. Diese Badeanlage wirkt aufgrund ihres ausgezeichneten Erhaltungszustandes als ob sie gerade erst von den letzten Badegästen verlassen worden wäre - und das bei einem Alter von 1900 Jahren! Durchquert man die Porta Marina, sollte man sich noch im Torhaus nach rechts wenden, um sich im Bookshop des Antiquariums ein Rekonstruktionsbuch zu kaufen. Diese kleinen Bücher mit ihren Folien bereichern den Besuch einer archäologischen Stätte ungemein und tragen zu einem besseren Verständnis der Ruinen bei. Verlässt man das Antiquarium nachdem man seinen Kaufrausch befriedigt und evtl. die Toilette besucht hat, gelangt man nach ein paar 100 m auf das Forum. Der Hauptplatz der antiken Stadt wird nach wie vor vom Vesuv überragt, dem Vulkan, der fast vor 2000 Jahren der Stadt das Verderben brachte. Dominiert wird das Forum vom Jupitertempel, welcher sich 79n.Chr. zum Zeitpunkt des Untergangs in Reparatur befand und von der Basilika, die ein sehr elegantes "Tribunal" - eine Art erhöhten Richtersitz besitzt. So ziemlich alle Plätze in Pompeji sind heute mit modernen Statuen vollgestellt. Ob es gefällt ist wohl Geschmackssache. Vom Forum aus läuft eine der Hauptstraßen, die "Via dell' Abondanza" durch die gesamte Stadt, bis in den Vergnügungsbezirk am Amphitheater. Bevor man an diesem ankommt, empfiehlt sich der Besuch der Stabaier Thermen, den ältesten der Stadt, welche mit ihrem perfekt erhaltenen Damenbad und einem in Gips ausgegossenen Opfer der Vulkankatastrophe von 79.n.Chr. beeindrucken. Keinesfalls auslassen sollte man das Heiligtum der Isis. Der Kult dieser ägyptischen Muttergottheit war in der römischen Kaiserzeit sehr beliebt - sozusagen eine Modereligion. Der kleine, ausgezeichnet erhaltene Tempel inspirierte Mozart bei seinem Besuch in Pompeji für die Gestaltung der Kulisse für die Zauberflöte. So lange gehen bereits die Grabungsarbeiten in Pompeji - und genau so lange gibt es Probleme all das Ergrabene zu erhalten. Vieles was der Vesuv konservierte, ist durch mangelnde Pflege oder unsachgemäße Grabungsmethoden für immer verloren. Italien ist sich dessen bewusst, und das Kulturministerium hat einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Bewahrung Pompejis erlassen. Auch ist das Thema Pompeji etwas, dass die italienische Öffentlichkeit sehr bewegt. Man ist stolz und froh über dieses einmalige Kulturerbe, zeitgleich aber auch besorgt um dessen Erhalt. Ausgegraben wird heute in Pompeji nur in sehr bescheidenen Maßen, meist um die vorrömische Geschichte der Stadt zu erforschen. Pompeji wurde etwa um 800 v.Chr. von den Oskern, einem Italischen Volk gegründet. Abwechselnd waren dann Griechen, Etrusker, Samniten und schließlich Rom die Herren der Stadt, bis der Vesuv in seiner bisher stärksten Eruption die Stadt samt den Orten im Umland vernichtete. Übrigens sprengte der Vulkan sich dabei selbst in die Luft und verlor etwa 2/3 seiner ursprünglichen Höhe. (Vor 79n.Chr ca. 3000m hoch, heute 1277m). Beeindruckend sind auch das Theater und die Gladiatorenschule gleich hinter dessen Bühnengebäude. Aber so richtig in die Antike zurückversetzt, fühlt man sich beim Besuch der zahlreihen, unglaublich gut erhaltenen Privathäuser entlang der Via dell' Abondanza. Da wären zum Beispiel das "Haus der Venus" oder das Haus der Julia Felix. Beide wirken wie bewohnt, mit ihren gepflegten Gärten und den Fresken. Sogar die Inneneinrichtung, in Form schwerer Marmortische ist noch am Originalplatz. Die Gärten sind übrigens nach archäologischen Befunden rekonstruiert worden. Hinter dem weitläufigen Garten der Julia Felix befindet sich das Amphitheater von Pompeji - es ist das älteste in Steinbauweise ausgeführte Amphitheater der Welt und wurde 80v.Chr. eröffnet - etwa 160 Jahre vor dem Colosseum! Seine Zugangstreppen für die oberen Ränge sind noch außen an der Fassade liegend und es besitzt noch nicht die ausgeklügelte Technik jüngerer Arenen. In der Antike wurde es Schauplatz einer berüchtigten Massenschlägerei zwischen den Tifosi (Fans) von Pompeji und Nocera. Diese Krawalle waren so wüsst, das Kaiser Nero das Theater gleich mit einer 10-jährigen Sperre belegte. Kaum das es wieder eröffnet wurde, ging die Stadt schon unter. Als Letztes gönnten wir uns noch einen Abstecher zu Pompejis meistbesuchten Monument - dabei handelt es sich um keinen Tempel oder eine Therme. Das kleine, zweistöckige Gebäude mit fünf Zellen in jedem Geschoß samt steinernen Betten war ein Lupanar - ein antikes Bordell. Vor keinem anderen Gebäude in Pompeji stehen solche Besuchermassen, die darauf warten, die erotischen Fresken im Inneren zu sehen. Diese wurden als eine Art "Menü des Hauses" interpretiert. Sex Sells - auch nach 2000 Jahren. Das Schicksal der Frauen, die einst darin unter Zwang als Sklavinnen arbeiten mussten, geht hingegen im Gekichere und den (verbotenen) Blitzlichtaufnahmen unter. Es stimmt nachdenklich beim Herauseilen aus dieser so lebendigen Geisterstadt Richtung Circumvesuviana. Eine letzte Überraschung wartete noch am Bahnsteig als der Zug einfuhr. Man sollte immer am Kopf des Bahnsteigs auf den Zug warten, nie an dessen Ende. Die Züge der Circumvesuviana sind nur halb so lang wie der Bahnsteig und es entbrennt ein wahrer Wettlauf unter den hinten stehenden Touristen zur nächsten Zugtüre. Alles in allem sei gesagt das Napoli einen Besuch unbedingt wert ist - allen Klischees zum Trotz die über dieses Juwel am thyrrenischen Meer kursieren.
Blogeinträge 5 bis 8 finden Sie hier >>
.....