Eine Hand mit Weißem Handschuh haltet eine kleine Flasche

Ein Jahr Pandemie

Im März 2021 begann das dritte pandemische Digital- und Hybridsemester. Nach mehr als einem Jahr können wir sagen, dass das Lehren und Lernen auf Distanz fordernd aber grundsätzlich schaffbar ist. Aber erreichen wir damit auch die gleiche Qualität? Die Antwort auf diese Frage ist schlicht „nein“: Intellektueller Austausch und Kreativität können auf Dauer nicht auf reale Präsenz und menschliche Nähe verzichten, weil uns die Energie der anderen Personen, die sich im gleichen Raum befinden, fehlt. Mit Studienkolleg_innen Face-to-Face über das Gehörte in der Vorlesung zu diskutieren oder Lösungswege bei „Mathe 1“-Beispielen zu vergleichen, zeichnen das alltägliche Universitätsleben ebenso aus, wie der Diskurs mit Lehrenden und Forschungskolleg_innen, das gemeinsame Feiern von Erfolgen am Campus oder das gemeinsame Verarbei-ten von Rückschlägen. Vor allem für Erst- und Zweitsemestrige sind das nachhaltige Entwicklungsschritte und Lerneffekte, die für den weiteren Verlauf des Studiums prägend sind. Im Rahmen ihrer Autonomie setzten die Universitäten auf Basis ihrer Sicherheitskonzepte einen weitgehenden Umstieg von Präsenz- auf Fernlehre um und berücksichtigten damit auch die Empfehlung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF): „Ausdünnung der Sozialkontakte an den Hoch-schulen, aber nicht Einstellung des Betriebs“. Dazu hatte Bundesminister Heinz Faßmann den Rektoraten Anfang November mitgeteilt: „Aufgrund des professionellen Umgangs der Hochschulen im Frühjahr und in den letzten Monaten haben die rechtlich Verantwortlichen die Universitäten … auch diesmal vom Anwendungsbereich der oben genannten Verordnung ausgenommen.“ Allerdings, so der Wortlaut des Schreibens, habe „die Regierungsspitze zurecht den politischen Anspruch erhoben, dass die Universitäten und Hochschulen in Distance-Learning umschalten sollen.“ Als Grund für den Schritt nannte das BMBWF die stark gestiegenen Infektionszahlen in den Altersgruppen der 20- bis 30-Jährigen – also dem Großteil der Studierenden. Neben dem weitgehenden Umstieg auf Distanzlehre und – nach Möglichkeit – auf digitalen Prüfungsbetrieb, wurde der allgemeine Universitäts- und Forschungsbetrieb fortgesetzt, für die Entlehnung blieben auch die Bibliotheken geöffnet. Die getroffenen Maßnahmen schienen angesichts der Verschärfungen in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens annehmbar. Die TU Wien nutzte nicht nur den Sommer, um ihren Studierenden möglichst viele Angebote zu unterbreiten, um im ersten Lockdown ausgefallene bzw. verschobene Lehrveranstaltungen und Prüfungen nachzuholen. Sie bereitete sich auch auf den Herbst und das Wintersemester inhaltlich und organisatorisch gut vor. Dazu gehörten nicht nur Sicherheitskonzepte für verschiedene Szenarien bis hin zum erneuten Lockdown, sondern auch der Ausbau der Infrastruktur, Konsolidierung des Softwareangebotes und Weiterbildungsangebote zu digitalem Lehren und Prüfen. Dies alles, um den Studierenden angemessene Rahmenbedingungen bieten zu können.

Distanzen überwinden

Selbstverständlich muss sich die TU Wien bei der Umsetzung ihrer Sicherheitskonzepte auf Daten, Zahlen und Evidenzen stützen und regelmäßig evaluieren. Leider war der Blick auf die Infektionslage stets ernüchternd und die Inzidenz in der Altersgruppe der Studierenden im ersten Quartal 2021 besonders hoch. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass bei allen Universitätsangehörigen, aber insbesondere bei den Studierenden, die psychische Belastung größer und der emotionale Druck höher wird. Mit dem Ausbau des psychosozialen Beratungsangebots für Studierende tritt die TUW dem aktiv entgegen. Distanzen zu überwinden ist die zentrale Herausforderung für Mitarbeiter_innen, Führungskräfte und Studierende. Und dabei geht es keineswegs nur um Distance-Learning, Homeoffice, digitale Meetings und Online-Townhalls. Räumlicher Abstand ist nur ein Aspekt. Auch emotionale, soziale und argumentative Distanzen stellen in dieser Krise Stolpersteine dar. Die Überwindung dieser liegt natürlich in der Verantwortung der Universitätsleitung, zählt aber gleichzeitig zu den größten Herausforderungen, denen wir uns aktuell stellen müssen. In den letzten Monaten wurde aus digitaler Transformation digitale Realität. Wir alle lernten mit Tools umzugehen, deren Namen wir teilweise vor einem Jahr noch nicht einmal kannten. Schlüsselprozesse wurden auf Knopfdruck umgestellt und die Belastungsgrenzen unserer Infrastruktur wurden sichtbar. Aber die TUW-Angehörigen haben dies überwunden und was liegt dann näher, als gerade diesen Schwung den die Digitalisierung mit sich brachte, in die Zukunft mitzunehmen? Digitale Formate werden nachhaltig Einzug in unser universitäres Leben halten, aber sie werden das Präsenzlernen und -lehren und den kreativen Austausch mit physischer Anwesenheit nicht vollständig ersetzen können. Umso wichtiger ist es – bei aller gebotenen Vorsicht – die Rückkehr der TUW-Angehörigen an den Campus zu ermöglichen.

Ein Jahr Pandemie

Hoffnung und Erschöpfung

Denn ein Studium ohne Hörsaal, ohne Mensa oder Auslandssemester, ein Forschungsprojekt ohne uneingeschränkte Laborarbeit oder der Büroalltag im administrativen Bereich: Die Rückkehr zum „normalen Präsenzbetrieb“ ist nur in kleinen Schritten möglich. Erschöpft klammern sich Universitätsangehörige an Hoffnungen, bald wieder zum Normalbetrieb zurückkehren zu können. Am Höhepunkt von Infektionswellen scheint ein Tiefpunkt akademischer und universitärer Alltagskultur erreicht. Vielleicht führt die Corona-Pandemie das alte Universitätssystem an ihr Ende. Fest steht, dass etwas Anderes, Neues, beginnen kann und muss. „Die Pandemie als Zäsur der kulturellen Entwicklung“, leitete ein Redner beim „Digitalen Salon“ der TU Wien sein Statement ein. Bei dieser virtuellen Diskussionsveranstaltung im Rahmen von „TU Vision 25+“ wagten kürzlich TUW-Wissenschaftler_innen gemeinsam mit externen Gästen ein Jahr nach Beginn der COVID-19-Pandemie einen Rück- und Ausblick. Die Diskussion war geprägt von der Stimmung des Übergangs. Die Pandemie scheint irgendwie vorbei zu sein und doch nicht. Salondiskutant Norbert Kreuzinger, Forscher im Bereich Wassergütewirtschaft der TU Wien, war es im Vorjahr gelungen, Virus-RNA im Abwasser Wiens nachzuweisen. Ein Wissenssprung, den er vor etwas mehr als einem Jahr für unmöglich gehalten hätte. Gleichzeitig berichtete er, dass es „so stressig wie noch nie“ war. In dem Stress ist die Erschöpfung spürbar und die Ahnung, dass es vielleicht ähnlich weitergehen muss, will man als Gesellschaft zusätzlich drängende Probleme wie den Klimawandel bewältigen: „Ich hoffe, dass sich das gemeinsame Arbeiten in Zukunft fortsetzt. Es geht nicht um die Leistungen Einzelner, sondern darum, dass wir voneinander lernen.“

Schubkräfte

Die große Dynamik im Bereich der Digitalisierung führt auch vor Augen, dass wir am Aus- und Weiterbildungsbereich kontinuierlich arbeiten müssen. Die Ausbildung von und der Ruf nach Fachkräften sind ein großes Thema, wobei der Rechtsrahmen im Wesentlichen ein analoger ist, was wiederum einen ersten Ansatzpunkt für zukünftige Innovation darstellt. Obwohl im Moment etwas aus dem Blickfeld geraten, wird in der Zukunft das vorhandene Innovationspotenzial auch dazu genutzt werden, den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Und noch eine Aufgabe, die in einer technologieorientierten Diskussion um Innovation häufig am Rand steht, aber essentiell für unsere Entwicklung als Gesellschaft hervortreten muss, ist die Beachtung der sozialen Innovation. Momentan kann noch nicht wissenschaftsbasiert belegt werden, wie und in welchen Lebensbereichen konkret die Pandemie die Gesellschaft beeinflusst hat, hören und hörten wir doch neben wirtschaftlichen Auswirkungen auch Warnrufe in Bezug auf Gewalt oder Vereinsamung. Hier wird es innovative Ansätze – auch mit Nutzung technologischer Möglichkeiten – benötigen. Vor uns stehen große Herausforderungen, die bedingen, uns national und international zu vernetzen. Forschung und Innovation funktionieren global, die Communities sind international vernetzt und dem müssen wir Rechnung tragen, wenn wir erfolgreich sein wollen.